Buch #6: David Foster Wallace – Unendlicher Spaß

I did it! Mehrere Leute haben mir, bevor ich anfing zu lesen, gesagt,  dass ich hierfür zwei Monate brauchen würde. Natürlich habe ich ihnen nicht geglaubt. Gut, ich habe auch nicht immer Lust zu lesen, und ich muss auch was für meinen Unterhalt tun – aber zwei Monate – ich doch nicht. Nun, ich bin eines Besseren belehrt, aber schließlich habe auch ich es geschafft.

Als ich letztens morgens im Bus saß, den Wälzer auspackte und ziemlich weit hinten aufschlug, fragte eine junge Dame mich, ob sie mich etwas fragen dürfe (nebenbei bemerkt: wie ich das hasse, frag halt einfach!). Nun, sie fragte mich also, wie ich denn dieses Buch nur lesen könne. Ich war etwas perplex, und habe wohl auch so geschaut. Sie präzisierte: Wie könne ich denn ein Buch lesen, das so depressiv sei. Ich war weiter zu perplex, etwas Sinnvolles herauszubringen und murmelte etwas von wegen, dass ich es mögen würde und es spannend sei. Dann las ich weiter. Sie aber meinte, quasi abschließend und ihre These untermauernd: Der Autor hat sich auch umgebracht!

Tja, manchmal kontere ich nicht gut genug. Aber hier liegt das Problem etwas tiefer. Es ist einfach nicht möglich, mit einer kurzen Antwort darzustellen, was dieses Buch lesenswert macht.  (Jetzt würde ich ihr aber wohl sagen, wenn sie nichts Depressives oder Deprimierendes lesen mag, sei ihr freigestellt, Rosamunde Pilcher zu frequentieren.)

Also, warum Unendlicher Spaß? Ich habe in einer Bewertung mal gelesen, dass dieses Buch einen verändere. Das kann ich nun nicht von mir behaupten. Aber es macht etwas mit einem. Ich habe gelacht, geweint, mich vor Ekel geschüttelt, die Zigaretten ganz weit weggelegt, bin aufgesprungen, um mir die Zähne zu putzen, nur, um sie danach nochmal zu putzen, ich habe es angewidert weggelegt, aber im Großen und Ganzen bin ich vor allen Dingen eines: überwältigt. Überwältigt von diesem Bombast.

Man mag darüber streiten, ob man etwas über Tennismatches lesen möchte. Oder darüber, wie Drogensüchtige versuchen, clean zu werden. Oder über Filme, die nie gedreht wurden. Oder, oder, oder. Ich bin jetzt zum Beispiel nicht der größte Tennisfan. Aber die Matches werden so beschrieben, dass man den Eindruck hat, man sitze direkt am Court und sehe zu.

David Foster Wallace fordert seine Leser. Er schmeißt mit Fremdwörtern um sich, mit endlosen Beschreibungen, mit Chemikalien und Zusammensetzungen von Drogen, und all dies ist manchmal recht anstrengend. Aber all dies entwickelt auch einen mächtigen Sog. Er beschreibt die Welt, wie sie ist. Bevölkert von Idioten, die sich im Medienkonsum suhlen und das eigenständige Denken aufgegeben haben. Ein paar Idioten möchten die Weltherrschaft. Oder zumindest ihr Land zurück. Und ein paar versuchen einfach, ihre Gedanken und ihren Schmerz zu betäuben in dieser Welt.

Die Charaktere sind eigentlich alle kaputt. Keine hübschen Menschen (bis auf die, die so schön ist, dass man sie kaum ansehen kann), alle haben gravierende „Mängel“, und alle versuchen auf ihre Weise, diese Mängel so auszugleichen, dass ein einigermaßen lebenswertes Leben dabei herauskommt. Leider scheinen aber alle dabei zu scheitern. Wie im wirklichen Leben, und das ist vielleicht das, was die junge Dame angekreidet hat – das Leben ist kein Ponyhof, und meistens sind alle Bemühungen umsonst, es ist deprimierend, und eigentlich fragt man sich, was das alles soll. Und warum man sich noch in den Kopf eines Menschen begeben soll, der sich über seiner Verzweiflung umgebracht hat.

Warum ich das Buch trotzdem dringend empfehlen und allen ans Herz legen möchte: Das Leben ist kein Ponyhof, und es gibt noch andere, die Probleme damit haben. Man steht nicht allein mit seiner Verzweiflung und seinen fruchtlosen Bemühungen. Das ändert nichts, es macht nichts besser, aber ein klein wenig tröstet es.

Ansonsten kann man sich noch an der Sprachmächtigkeit erfreuen, an dieser schier unglaublichen Welt, die David Foster Wallace erschaffen hat und den Handlungssträngen, die wie ein Räderwerk ineinander greifen. Auch wenn am Ende nichts aufgelöst ist und tausend Fragen bleiben. Wie im richtigen Leben.

19 Gedanken zu „Buch #6: David Foster Wallace – Unendlicher Spaß

  1. Ausgezeichnete Rezension. Allerdings schließe ich daraus, dass dieses Buch für mich eindeutig zu detailliert ist.

    Oft vergellen mir gerade die ausführlichsten Beschreibungen das ‚Lesevergnügen‘, wenn ich das einmal so formulieren darf. Früher war das besonders häufig notwendig, da (bevor Photographie und Fernsehen auch visuelle Eindrücke vermitteln konnten) zB. die Vegetation oder Topographie von beschriebenen Orten nur ‚umständlich‘ über die Sprache in die Köpfe der Menschen kommen konnte.

    Heute ist das (zum Glück?) seltener. In diesem Fall frage ich mich allerdings: Wozu werden hier Chemikalien genauer beschrieben? Und – bringt’s was?

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    • Danke 🙂
      Ja, manchmal sind die Beschreibungen schon anstrengend, aber es handelt sich nicht um die Art Beschreibung, in der auf zwanzig Seiten zehn Bäume beschrieben werden. Sondern eher dahingehend, wie genau jemand z.B. auf Droge gekommen ist und was genau dann passiert ist. Ich habe nun ein paar unschöne Bilder in meinem Schädel eingebrannt.
      Die Chemikalien sind für die Zusammensetzung der Drogen da. Mir persönlich hat es nichts gebracht, aber wenn man sich ein wenig auskennt, weiß man vielleicht, dass dieses Zeug diese Wirkung hat und in Kombination mit dem… keine Ahnung. Ich nehme an, das hat den gleichen Effekt wie die ganzen Fremdwörter.
      Vielleicht einfach mal anlesen und dann entscheiden? Ich schätze, die Faszination kommt schnell oder gar nicht.

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  2. Eine schöne Rezension, mich hat Wallace mit seiner Sprachgewaltigkeit förmlich umgehauen und ich konnte das Buch gar nicht mehr weglegen. Ich hab’s im Urlaub gelesen, es hat mich ungefähr eine Woche gekostet, in der ich praktisch nichts mehr anderes gemacht habe, aber ich würde es jederzeit wieder tun. Was ich nicht wieder tun würde: so geizig sein und mir die Taschenbuchausgabe kaufen. In meinen nächsten Leben greife ich dann ohne zu zögern zur Hardcoverausgabe. 😉

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    • Danke 🙂 Ja, hätte ich soviel Zeit gehabt, wäre es wohl bei mir auch schneller gegangen. Ich liebe es, wenn man einfach nur Zeit mit einem Buch verbringt, und ansonsten Ruhe hat. Ich hab das Buch überall hin mitgeschleppt, da war die Taschenbuchausgabe schon von Vorteil 😉

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  3. Ich bewundere dich dafür, dass du diesen Wälzer wirklich gelesen hast. Ich kenne kaum jemanden, der das Buch besitzt und es in der Tat auch gelesen hat … nach deinen begeisterten Worten, werde ich demnächst sicherlich auch mal einen Blick in das Buch riskieren! 🙂

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    • Es lohnt sich auf jeden Fall! Klar, es ist kein Buch, das man zwischen Tür und Angel liest, aber es fordert heraus und macht Spaß. Ich kann es nur empfehlen und hoffe, Du wirst auch Freude daran haben.

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  4. Das Buch steht auch immer noch auf meiner „Wenn ich mir mal ein Bein breche und das Bett nicht verlassen kann“-Liste 😉 Deine Rezension hat es defintiv weiter nach oben geschoben.
    Ingesamt finde ich dein Projekt sehr mutig – sowas ähnliches habe ich auch vor – und ich freu mich, dass du meinen Blog gefunden hast, damit ich dadurch deinen finden konnte. Freue mich auf weitere Rezensionen!

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    • Dankedanke 🙂 Naja, so mutig ist das ja nicht, ich lese einfach ein Buch nach dem anderen und schau mal, wo ich lande. Und ich freu mich natürlich, wenn ich Anregungen geben kann.
      Und ich bin auch immer wieder froh, gute neue Blogs zu finden. Dementsprechend, dito!

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  5. Es liegt seit nunmehr einem halben Jahr auf meinem Nachttisch, immerhin bin ich bis S. 350 vorgedrungen, aber ich stecke seit etlichen Wochen fest, lese immer mal wieder ein paar Seiten, gebe nicht auf, weil es streckenweise einfach brillant ist, doch in einem Zug könnte ich es nicht lesen (zumal ich privat hauptsächlich abends vorm Schlafen lese, wenn also nur noch wenig Konzentration übrig ist). Trotzdem: ein ganz ungewöhnliches und ungemein bereicherndes Leseerlebnis.

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    • Ja, ich hatte ja auch so meine Schwierigkeiten damit, aber zu lange zu unterbrechen ist auch nicht gut hierbei. Die Geschichte ist zu komplex, und nachher findet man den Faden nicht mehr. Vielleicht ist das wirklich etwas, das man in einer ruhigen Zeit schnell durchlesen muss, ansonsten wird es zuviel. Aber dran bleiben lohnt sich auf jeden Fall! 🙂

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  6. Ich habe diesen Roman in einer schönen Büchergilde-Ausgabe 2010 erstanden und bisher nur bis Seite 200 gelesen. Warum? Diese detaiilierte Art der fast schon fotografischen Beschreibung von medizinischen, pharmazeutischen, sportlichen und technischen Begebenheiten hat mich zu dem Zeitpunkt zu sehr angestrengt… Und es gab andere Bücher…Deine Rezension erinnert mich wieder daran, dass David Foster Wallace im Bücherregal darauf wartet, weitergelesen zu werden. Danke schön!

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    • Gerne 🙂 Ich finde, es hat sich gelohnt, auch wenn ich sehr lange dafür gebraucht habe – die Details sind wirklich manchmal anstrengend. Und es ist ein Buch, das keine großen Pausen verträgt, da man dann überhaupt nicht mehr weiß, worum es geht. Aber David Foster Wallace hat mich mit seiner Erzählfreude auch sehr mitgerissen und beeindruckt. Ich kann es nur empfehlen, allerdings mit genügend Zeit und Muße.

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  7. Du hast mir den nötigen Schubser gegeben mich David Foster Wallace wieder intensiv zu widmen. Wenn ich „Das kunstseidene Mädchen“ und „Das Herz ist ein einsamer Jäger“ durch habe, werde ich mich dem unendlichen Spaß zuwenden…in der Herbstzeit.

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  8. Vermutlich provoziert dieser Roman, darauf in öffentlichen Verkehrsmitteln angesprochen zu werden. Ich, die ich so verrückt war, es in Originalsprache lesen zu wollen (nein, ich bin kein english native speaker) hatte es im Zug dabei, als ein junger Herr mich dafür bewunderte, es auf englisch zu lesen, er hätte es schon auf deutsch so schwierig gefunden.
    Naja, es pausiert auch schon eine Weile 😀 Aber deine Rezension, die interessanterweise den Inhalt nur anreißt, hat mich genau wie Katja wieder motiviert weiter zu lesen! Danke.

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    • Das ist ja interessant, und ja, das Buch ist schon eine Herausforderung 🙂 Aber ich hätte es auch nicht auf englisch lesen wollen, dafür sind doch zu viele Fachbegriffe enthalten, und die ganze Vor-und Zurückschlagerei wegen der Anmerkungen hätte mich, glaube ich, vollends in den Wahnsinn getrieben.. also Hut ab! Es freut mich, dass Du es nun weiterliest, denn es lohnt sich auf jeden Fall! Ich wünsche „Unendlichen Spaß“ damit 🙂

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  9. Pingback: Haruki Murakami – 1Q84 | 1001 Bücher - das Experiment

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