Buch #30: Neal Stephenson – Cryptonomicon

Ein 1200-Seiten-Wälzer mit vier Handlungssträngen auf zwei Zeitebenen… wow. Und dies ist nicht alles, es gibt zahlreiche Nebenhandlungen, die durchaus erwähnenswert wären, den Rahmen hier jedoch sprengen würden.

Die erste Zeitebene ist die des Zweiten Weltkriegs. Hier haben wir zum einen Lawrence Pritchard Waterhouse, einen genialen Mathematiker, der nach einigen Verwicklungen zu einem Geheimkommando kommt, das deutsche Kryptographiesysteme entschlüsselt. Dies sind hauptsächlich Funksprüche der Wehrmacht. Waterhouse ist ein Mensch, der mit anderen Menschen nicht allzu gut zurechtkommt, aber in der Welt der Mathematik ist er fast einzigartig. Es dauert allerdings einige Zeit, bis das festgestellt wird.

Ebenfalls auf merkwürdigem Wege, der ihn über Manila und die Philippinen führt, stößt Bobby Shaftoe, ein amerikanischer Corporal, zu dieser Truppe. Er entschlüsselt allerdings nicht, er führt geheime Missionen aus. Shaftoe ist eine Person, die man als Haudegen bezeichnen könnte; vor welche Probleme er auch immer gestellt wird, er geht sie unerschrocken an und stellt sich ihnen. Aber dies geht nicht immer unter Befolgung der „Befehle von oben“…

Zwei nicht ganz so ausführliche Handlungsstränge behandeln zum einen Enoch Root, einen Priester, der immer wieder in die Ereignisse verwickelt wird, und auch im späteren Zeitstrang wieder auftaucht. Und Goto Dengo, ein japanischer Soldat, der alles Elend des Krieges abbekommt und nach einer Odyssee, bei der fast zu ertrinken und dann anschließend fast von Kannibalen gegessen zu werden nur einige Stützpunkte sind, und der  schließlich ein geheimes Goldlager anlegen soll und wird.

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Der andere Handlungsstrang behandelt Ende der 90er Jahre hauptsächlich Randall (Randy) Lawrence Waterhouse, ein klassischer Nerd, Enkel von Lawrence Pritchard und in seinen bisherigen Unternehmungen nicht sehr erfolgreich. Zusammen mit seinem Freund Avi will er nun ein Projekt starten, das das Internet auf die Philippinen bringt.

Im Verlauf dessen trifft er auf Douglas McArthur Shaftoe (ja, Shaftoe) und dessen Tochter America (Amy), die die Leitungen verlegen sollen. Sie finden ein Unterseeboot aus dem Zweiten Weltkrieg und einiges an Material an Bord. Randy muss einige persönliche Entwicklungen durchmachen, wobei die schöne Amy nur eine Rolle spielt, der Verlust seines Hauses, ein Gang über Minen und ein Aufenthalt im Gefängnis ein paar weitere…

Langsam stellt sich heraus, dass es um viel Gold geht, um ein geheimes Goldlager, und dieses wollen natürlich einige für sich haben…

Verwirrt? Das kann ich mir vorstellen, ich war es auch manchmal. Aber weniger aufgrund der Handlung, da jedes Kapitel eine der Personen behandelt und man so leicht den Überblick behalten kann. Aber die Erklärungen zur Mathematik und Kryptographie haben mich doch teilweise überfordert – Mathe war nie meine Stärke. Gut, dass man die Handlung trotzdem nachvollziehen kann.

Und diese hat es in sich. Der Goldschatz ist eigentlich nur ein roter Faden. Was mich viel mehr beeindruckt hat, ist die Darstellung des Krieges. Man hat den Eindruck, dass ein Krieg nicht viel mehr ist als ein taktisches Gesellschaftsspiel. Die Spieler (für die Waterhouse tätig ist) bewegen ihre Figuren (zu denen Shaftoe gehört). Was genau all den Menschen passiert, über die sie so bestimmen, kommt gar nicht an sie heran. Sie sitzen quasi im Elfenbeinturm und spielen. Und da das so ist, wird das wohl nie aufhören, da die Verantwortlichen nicht wirklich verantwortlich sein müssen. Sie bewegen nur Züge, Schiffe, versuchen, die anderen zu überlisten… fürchterlich.

Und doch wird die Geschichte mich wohl so schnell nicht loslassen. Stephenson ist ein großartiger Erzähler. Natürlich, dies ist ein Roman, der weniger von seiner Sprache, als von seiner Handlung lebt. Aber diese Handlung ist unbedingt zu empfehlen! Stephenson erschafft ein Geflecht, das mal enger, mal lockerer gewebt ist, aber immer ein Ganzes ergibt.

Wenn Ihr eine kurzweilige Lektüre mögt, die den Zweiten Weltkrieg aus Sicht der Amerikaner erzählt (auch die Deutschen kommen natürlich vor, und zwar nicht nur als hirnlose Befehlsausführer, sondern als Menschen), kann ich Euch diesen Roman wirklich ans Herz legen. Gut, er ist ein Schinken, aber er wird nie langweilig, da die Haupthandlungsstränge schon interessant sind, aber durch die zahlreichen Nebenhandlungen auch immer wieder aufgelockert werden. Eine schöne Lektüre für einige dunkle Winterabende!

Hier geht es zu Stephensons Website, ich glaube, er hat noch einiges mehr zu bieten: http://www.nealstephenson.com

3 Gedanken zu „Buch #30: Neal Stephenson – Cryptonomicon

  1. Neal Stephenson ist wirklich zu empfehlen. Cryptonomicon hatte mir auch hervorragend gefallen. Wer es etwas mehr in Richtung der nahen Zukunft mag, der ist mit Diamond Age – Die Grenzwelten gut beraten. Snow Crash ist ebenfalls nicht schlecht mit bösen Anspielungen auf aktuelle Entwicklungen, aber wenn ich mich recht entsinne, fand ich das Ende recht unbefriedigend.

    Beim Bücherbasar hatte ich ausserdem neulich „Principia“ sehr günstig erworben, um dann festzustellen, dass es sich dabei um den 3. Band seiner Baroque-Trilogie handelt… Also muss ich wohl noch die ersten 2 Riesenwälzer dieser Reihe kaufen, bevor ich damit anfangen kann. 😉 Genug Lesestoff für eine Weile!

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    • Ja, wie es scheint, ist er ein wirklich guter Erzähler. Um die Barocktrilogie schleiche ich auch schon seit Jahren herum 🙂 Diese soll ja auch vorausweisen auf Cryptonomicon… ich bin gespannt, wie Du sie findest, solltest Du Dich dazu entschließen. Bitte um Bericht! 🙂

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  2. Ja, die Shaftoes sollen dort auch vorkommen, meine ich. Hm, vielleicht „mache ich das mal zu meinem Projekt“. 😉 Sobald der aktuelle Stapel weggelesen ist, schaue ich mich nach dem ersten Band um.

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