„1801. Ich bin gerade von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekehrt – diesem einsamen Nachbarn, der mir zu schaffen machen wird.“ (7)
So beginnt Sturmhöhe, wahrscheinlich besser bekannt unter dem Originaltitel Wuthering Heights. Der Besucher ist Mr. Lockwood, der das Gut Thrushcross Grange von Heathcliff gepachtet hat, dem er gerade seinen Anstandsbesuch gemacht hat. Er ist entsetzt über das schroffe Wesen seines Verpächters und über die lieblose und angstvolle Atmosphäre in dessen Haus, Wuthering Heights.
Dennoch kann er es sich nicht verweigern, einen erneuten Besuch zu machen, der allerdings noch weniger Erfolg hat und ihm eine schwere Erkältung einbringt, die ihn wochenlang das Bett hüten lässt. Seine Haushälterin, Miss Ellen Dean, leistet ihm Gesellschaft, und von ihr erfährt er die Geschichte der Bewohner von Wuthering Heights.
Heathcliff ist ein Findelkind mit – wahrscheinlich – indischem Aussehen, niemand kennt seinen Namen oder seine Herkunft. Eines Tages bringt Mr. Earnshaw, Besitzer von Wuthering Heights, ihn von einer Reise mit und zieht ihn zusammen mit seinen Kindern, Hindley und Catherine, auf. Mr. Earnshaw hat eine Schwäche für Heathcliff, ebenso wie Catherine, was Hindley von Anfang an gegen ihn aufbringt. Nach Earnshaws Tod lässt Hindley Heathcliff seine Abneigung spüren, er entzieht ihm Erziehung und Bildung, was zum Resultat hat, dass Heathcliff ein wildes Kind wird. Trotzdem hängt Catherine mit einer zärtlichen Liebe an ihm, ist ihm immer Wegbegleiter und Kamerad bei seinen Streichen.
Ellen Dean, die als Kinderfrau für alle fungiert, macht sich Sorgen um Catherines Entwicklung, auch ist ihr nicht wohl wegen Heathcliffs Verwahrlosung, doch sie kann keinen Einfluss nehmen. Eines Tages spielen Catherine und Heathcliff ihren Nachbarn, den Lintons, einen Streich, infolgedessen Catherine sich erkältet und mehrere Wochen bei den Lintons verbringt. Sie kommt zu Wuthering Heights als eine kleine Dame zurück, mit ordentlichen Manieren und ordentlichen Kleidern, ein wenig verliebt in den Sohn der Lintons, Edgar.
Heathcliff kann Catherines Verwandlung nicht verstehen, er verzweifelt fast und versucht alles, sie für sich zurückzugewinnen. Aber Edgar Linton macht ihr den Hof, und als sie eines Tages mit Ellen darüber spricht, dass Heathcliff nicht standesgemäß für sie sei, da er keine Manieren, keine Bildung und ihr nichts zu bieten habe, hört Heathcliff das und verschwindet für mehrere Jahre. Catherine heiratet Linton, und alles scheint sich in Wohlgefallen aufzulösen, bis Heathcliff zurückkommt und eine wilde Geschichte von Zurückweisung, Verletzung und vor allem Rache sich entspinnt…
Nach dem Reinfall mit Sinn und Sinnlichkeit von Jane Austen, die oft in einem Atemzug mit Emily Brontë genannt wird, habe ich diesen Roman lange Zeit vor mir hergeschoben. Nun fiel er mir wieder in die Hände und ich muss sagen, ich habe den Versuch nicht bereut. Sturmhöhe ist eine starke Geschichte über, wie ich es empfunden habe, Ungerechtigkeit. Allen handelnden Personen widerfährt ein großes Unrecht, und wie in einer tödlichen Spirale ruft widerfahrenes Unrecht Rache und somit erneutes Unrecht hervor.
Das Bizarre ist, dass der Ausgangspunkt eine menschenfreundliche Tat war, als Mr. Earnshaw Heathcliff mit- und bei sich aufnahm. Aber sofort schlägt die menschliche Natur zu, im Neid Hindleys, der alles daran setzt, Heathcliff zu zerstören. Dann sind da noch die Standesgrenzen und die guten Gepflogenheiten, die nicht überwunden werden können, und Hindley stößt Heathcliff immer tiefer in den Dreck. Aber Heathcliff kehrt zurück wie ein Phoenix aus der Asche, und er nimmt seine Rache.
Sturmhöhe wurde nach seinem Erscheinen nicht sehr positiv vom Publikum aufgenommen. Die Kritikpunkte waren, dass man sich mit keiner Figur identifieren könne, die Handlung sei zu verschachtelt, die Sprache zu gestelzt. Die Gegenposition hob gerade die Beschreibung des Bösen und die Komposition mit seiner authentischen Sprache hervor.¹ Bis heute ist es wohl so, dass der Roman polarisiert.
Und auch ich fühlte mich hin- und hergerissen. Der Klappentext meiner Aussage spricht von dem „unvergleichlichen Frauenroman einer leidenschaftlichen Liebe und unversöhnlichen Rache“. Das hat mich zuerst aufgebracht, aber im Verlauf der Lektüre musste ich zugeben, dass etwas dran ist. Sturmhöhe zu lesen war ein wenig wie ein Bericht der Klatschpresse, was wohl nicht zuletzt an der Erzählerperspektive liegt, aber so, wie die Erzählung bei mir ankam, hatte ich manchmal das Gefühl, eines dieser Frauenblättchen zu lesen. Die Komposition hat mich jedoch beeindruckt, und die Naturbeschreibungen wie die Beschreibungen der niederen Orte der menschlichen Seele haben mich vom Roman überzeugt.
Mich hat jedoch hauptsächlich die Sprache mitgerissen, jede Figur hat ihre eigene Sprechweise, was auch in der Übersetzung sehr deutlich hervorkommt. Der Unterschied zwischen schönem Oxford-English und dem der Arbeiter dürfte aber wohl im Original noch gravierender sein. Nichts desto trotz wundert es mich nicht, dass der Roman so lange überlebt hat, bietet er doch alles, was Unterhaltung ausmacht: Liebe, Drama, Bösewichte, Klatsch und Tratsch. Eine Soap-Opera des 19. Jahrhunderts, würde ich fast sagen, und möchte hiermit nicht herabsetzend klingen, denn die Geschichte ist nun einmal sehr unterhaltend und mitreißend geschrieben.
Literaturwissenschaftler können wohl auch einen Wust an Motiven behandeln, weswegen es in der Anglistik immer noch auf den to-read-Listen steht. Und im Gegensatz zu Sense und Sensibility wird man hier bestens unterhalten. Also, alle mal heranwagen.
¹Information aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Sturmh%C3%B6he
Emily Brontë: Sturmhöhe. Aus dem Englischen von Grete Rambach. Insel Verlag, 1994. OA: Wuthering Heights. Erstdruck: Tomas Cautley Newby Publisher, London 1847. 363 Seiten.
Emily Brontë wurde am 30. Juli 1818 in Thornton in Yorkshire geboren. Wuthering Heights (Sturmhöhe) ist ihr einziger Roman, den sie unter dem Namen Ellis Bell veröffentlichte. Außerdem veröffentlichte sie mehrere Gedichte. Sie ist die jüngere Schwester von Charlotte Brontë und die ältere Schwester von Anne. Die drei Schwestern veröffentlichten alle unter männlichen Pseudonymen. Emily starb am 19. Dezember 1848 in Haworth, Yorkshire, vermutlich an Tuberkulose oder einer Lungenentzündung.
Hattest du schon Jane Eyre gelesen? Finde ich noch stärker als Wuthering Heights.
LikeGefällt 2 Personen
Nein, das ist eigentlich gar nicht so meine Zeit, ebenso wie Wuthering Heights, aber jetzt freue ich mich schon fast ein bischen drauf 🙂
LikeGefällt 1 Person
Hmm … aber da gibt es keinen Heathcliff …
LikeGefällt 2 Personen
Naja, hatte ja grad die volle Dosis 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Ich meinte zur Frage Jane Eyre und Wuthering Heights – beides starke Bücher, mir ist aber W.H. Lieber 😄
LikeGefällt 2 Personen
Rochester ist interessanter, der hat sich wenigstens weiterentwickelt ; )
LikeGefällt 2 Personen
Stimmt! Aber deswegen ist Heathcliff ja auch lebensnaher 🙂
LikeGefällt 2 Personen
Kicher, du hast ja ne Meinung von den Menschen ; )
LikeGefällt 1 Person
Nicht von den Menschen. Nur von den Männern 🙂
LikeGefällt 1 Person
Hihi, das hab ich schon verstanden ; )
LikeLike
Dachte ich mir 😃
LikeLike
😀
LikeGefällt 1 Person
ich mag Wuthering Heights, finde Jane Eyre aber auch noch ein bisserl packender 🙂
LikeGefällt 3 Personen
Jetzt bin ich aber sehr gespannt!
LikeLike
Habe gerade einen Boxring vor Augen. Emily mit Heathcliffe in der einen Ecke und Charlotte mit Jane in der anderen 😉
OK, „Pride and Prejudice and Zombies“ hat mir vielleicht doch nicht ganz so gut getan…
LikeGefällt 3 Personen
Ich bin auch gespannt, wie der Kampf ausgeht 😉
LikeLike
Pingback: [1001 Bücher] Buch #61: Emily Brontë – Sturmhöhe – #Literatur
Deine Zusammenfassung macht mir Lust, das Buch endlich zu lesen.. Steht schon lange in meinem Regal, aber ich hatte es ehrlich gesagt vergessen. Danke für’s Erinnern! GLG Heike
LikeGefällt 1 Person
Das ging mir ähnlich, und jetzt kann ich es wirklich empfehlen! Viel Vergnügen damit!
LikeGefällt 1 Person
Sturmhöhe fand ich gut, aber jane eyre finde ich noch einen Tick besser. Bronte und austen haben wohl so ziemlich in der gleichen Zeit geschrieben, aber kein gegenseitiges Verständnis für die Werke. Hab ich mal irgendwo gelesen. Aber ich finde die Bronte Werke einfach besser, dafür mag ich die Verfilmungen der austen Romane lieber 😉
LikeGefällt 1 Person
Die Mehrheit entscheidet sich für Jane Eyre, jetzt muss ich wohl sehen, dass ich mir das Buch schnell anschaffe 🙂 Ich kenne, glaub ich, keine der Verfilmungen, das kann ich dann ja nachholen 🙂
LikeGefällt 1 Person
Keine Langeweile in der nächsten Zeit 😉
LikeLike
Nach einer jahrelangen Langeweile-Phase durch das Lesen zu vieler Romane männlicher Autoren hat mir „Jane Eyre“ die Freude am Lesen zurückgegeben. Allein dafür werde ich das Buch immer lieben. „Sturmhöhe“ ist natürlich viel finsterer und voller an Besessenheit grenzender Emotionen. Ich freue mich schon auf die bald erscheinende Neuübersetzung bei Hanser. Trotzdem ging mir „Jane Eyre“ näher.
LikeGefällt 2 Personen
Hm, und noch ein Punkt für Jane Eyre. Ich werde mir das jetzt kaufen, wenn alle das vorziehen, macht mich das neugierig 🙂 Aber auch erstaunlich, dass ein Roman aus dem 19. Jahrhundert Dir die Leselust wiedergegeben hat, ich bin wirklich gespannt!
LikeGefällt 1 Person
Ich würde dann aber auf die neue Übersetzung bei Insel zurückgreifen. Habe sie zwar selbst noch nicht gelesen, aber sie soll den anderen Übersetzungen haushoch überlegen sein.
LikeLike
Nicht zu vergessen bei Sturmhöhe sind die Landschaftsbeschreibungen, eine zusätzliche Freude beim Lesen.
LikeGefällt 2 Personen
Auf jeden Fall, die sind großartig!
LikeLike
Da kann ich mich nur anschließen Jane Eyre ist doch etwas mitreißender… 🙂
Wenn du Lust hast, schau doch auch mal bei meinem Blog vorbei, würde mich freuen 😉
LG
https://catveldmaus.wordpress.com/
LikeLike
Ich bin gespannt, bin noch nicht so weit damit gekommen, aber die Mehrheit scheint ja Team Jane zu sein 🙂
Ich schau gerne mal vorbei, danke!
LikeLike
Pingback: Buch #65: Charlotte Brontë – Jane Eyre | 1001 Bücher - das Experiment
Pingback: Ranglistenupdate 12 | 1001 Bücher - das Experiment
Pingback: 2016 – ein kurzer Rückblick | 1001 Bücher - das Experiment