Buch #62: Truman Capote – Kaltblütig

„Das Material zu diesem Buch stammt, sofern es nicht auf meinen eigenen Beobachtungen und Erfahrungen beruht, aus offiziellen Berichten oder es ist das Ergebnis von zahlreichen Interviews mit den unmittelbar beteiligten Personen, von Interviews, die sich oft über eine ziemlich lange Zeit erstreckten.“

Kalt wie Stein. Foto:mg

So lautet der erste Satz des Vorwortes zu Kaltblütig. Diese unmittelbar beteiligten Personen sind Angehöre, Freunde und Bekannte der Familie Clutter, von der vier Mitglieder ermordet wurden. Die Mörder, Perry Edward Smith und Richard Eugene Hickock, genannt Dick, kommen selbst zu Wort, aber auch die Menschen aus ihrem Umfeld. Und dann gibt es noch den ganzen Apparat, den solch ein Verbrechen in Bewegung setzt, von der Polizei über die Presse bis hin zu den Gerichtsangehörigen. Ja, es kommen viele Menschen zu Wort, und was sie zu sagen haben, lässt dem Leser manchmal den Atem stocken.

Perry und Dick, beide vorbestraft, treffen sich, nachdem sie sich im Gefängnis kennengelernt haben, eines Tages wieder. Obwohl keiner der beiden das vorhatte, führen die Ereignisse doch dahin. Sie haben von der Clutter-Farm gehört, die angeblich einen Tresor mit viel Geld beherbergt und machen sich auf, diesen auszuräumen. Es ist ihnen klar, dass dabei keine Zeugen zurückbleiben sollen.

Die Polizei steht vor einem Rätsel, außer zwei Fußspuren gibt es keine Anhaltspunkte, über das Motiv der Täter ganz zu schweigen. Die Clutters waren angesehen und wurden gemocht, und warum jemand Vater, Mutter, eine Teenage-Tocher und einen Teenage-Sohn ermorden wollen könnte, ist ihnen nicht ersichtlich.

Während die Polizei rätselt, vergnügen sich Perry und Dick auf einer Tour durch die Staaten bis hin nach Mexiko; als ihnen jedoch das Geld ausgeht, kehren sie zurück. Zu keinem Zeitpunkt denken sie, dass man ihnen etwas nachweisen könnte, denn auch sie wissen, dass das Motiv nicht ersichtlich ist und ja, sie haben ja keine Zeugen zurückgelassen.

Warum die Polizei dennoch auf ihre Spur kommt und wie sie erwischt und verurteilt werden, das erzählt Capote in Kaltblütig. Es ist zu keinem Zeitpunkt ein whodunnit, die einzige Spannung ist im Grunde genommen, ob und wie die Täter gefasst werden. Und Capote versteht es, diese Spannung aufzubauen. Er entwickelt die Geschichte von Standpunkt zu Standpunkt, erzählt zuerst von der Familie Clutter und der Tat, um dann überzuschwenken zu den Tätern.

Zu diesen entstehen zwei ausführliche Täterprofile, die sich aus ihren eigenen Erzählungen in Kombination mit denen der Menschen, die sie zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben begleitet haben, zusammensetzen. Und so bekommt der Leser Einblick in die Entwicklung der „kaltblütigen“ Mörder, wie sie dorthin gekommen sind, und dies macht diesen „Tatsachenroman“ spannender als so manchen Thriller. Genau dies wollte Truman Capote schaffen, und er bereitete damit den Weg für ein neues Genre, den New Journalism.

Ich schiebe die Besprechung des Buches nun schon seit einigen Tagen vor mir her, da ich geteilter Meinung darüber bin. Es stimmt, dass Capote mit seinem wahrheitsgemäßen Bericht einen wirklich spannenden Roman, ja fast schon Thriller, geschrieben hat. Jetzt ist es aber so, dass die Entwicklung des Täterprofils heutzutage nichts Neues mehr ist, dass z.B. Serien wie Criminal Minds diese Art der Erzählung regelmäßig benutzen und man weiß, dass nicht alles einfach schwarz und weiß ist.

Die Geschichte der Tat und der Jagd nach den Tätern, ebenso wie die Einschübe der verschiedenen Perspektiven der Personen, die die Täter oder die Opfer gekannt haben, hat Capote wirklich meisterhaft verwoben, an keiner Stelle wird es langweilig. Aber der Part, als es an die Gerichtsverhandlung geht, mit den Verhandlungs“pannen“ und dem Gefängnisaufenthalt, hat einen etwas schalen Geschmack hinterlassen. Auf einmal erzählt Capote von den Zellengenossen im Todestrakt und führt deren Verbrechen aus, und wie sie alle interagieren, was jedoch für die Geschichte und den Bericht völlig unerheblich ist.

Als letzter Teil des Buches ist dies im Gedächtnis geblieben, und es stört mich immer noch ein wenig. Aber dennoch habe ich Kaltblütig schnell und gern gelesen, es ist im Grunde dann doch ein „wahrer Thriller“, und diese Realität lässt den Leser schlucken und mitfiebern. Ich empfehle es also doch jedem als einen außergewöhnlich gebauten „realen“ Roman, ein Konzept, das spannend ist und funktioniert und wünsche mir, dass nicht alle schon so „abgebrüht“ sind wie ich, um einige Stellen besser würdigen zu können.

Truman Capote: Kaltblütig. Deutsch von Kurt Heinrich Hansen. Deutsche Buch-Gemeinschaft Berlin-Darmstadt-Wien, 1967. OA: In Cold Blood. Random House, New York, 1966. 408 Seiten.

Bild: Wikipedia

Truman Capote wurde am 30. September 1924 in New Orleans geboren. Er hatte mit Breakfast at Tiffany’s weltweiten Erfolg. Danach recherchierte er mit seiner Jugendfreundin Harper Lee sechs Jahre lang die Morde an der Familie Clutter und verarbeitete dies zu Kaltblütig. Dieser Roman wurde zu einem Bestseller, der eine Medienlawine auslöste, die darin endete, dass Capote die 500 berühmtesten Persönlichkeiten der USA zu seinem legendären Black und White Ball einlud, einer Mega-Party.

Danach ging es bergab mit Capote, er hatte eine Schaffenskrise und verfiel Drogen und Alkohol. Nach acht Jahren ohne Veröffentlichung wurde 1975 das erste Kapitel von Answered Prayers im Esquire-Magazin abgedruckt. Hier beschrieb er intimste Geheimnisse der High Society, was in einem Selbstmord und zahlreichen gekündigten Freundschaften und Capotes gesellschaftlicher Ächtung endete. Er verfiel in Depressionen. Am 25. August 1984 starb er vereinsamt in Los Angeles. (Quelle: Wikipedia)

17 Gedanken zu „Buch #62: Truman Capote – Kaltblütig

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    • Meine Ausgabe kommt glaub ich vom Flohmarkt, ich find sie auch sehr schön (wenn auch etwas fleckig – naja, ist ja auch schon was älter 🙂 ). Wie immer bin ich gespannt, wie Du es finden wirst – hab einen wundervollen Sonntag!

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    • Ich denke, „Kaltblütig“ ist schon speziell, und z.B. „Frühstück bei Tiffany“ ist ganz anders. Aber ich kenne das, wenn man nichts mit einem Buch anfangen kann, ich verschiebe das dann auch erst mal.

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  2. Capote ist alleine schon interessant, weil in ihn das glamouröse Scheitern angelegt ist. Er hat als Autor ein unglaubliches Talent gehabt und es nur selten vollständig ausgespielt, weil er sich gerne selbst im Weg stand. Danke für die Erinnerung an den Autor und seinen meiner Ansicht nach besten Text.

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    • Es war mein erster Capote, und ich erwarte z.B. von Breakfast at Tiffany`s etwas ganz verschiedenes – wie ich mir diesen Autor auch vorstelle, glamourös, schillernd, vernichtend. Aber im Endeffekt hat er sich selbst keinen Gefallen getan, wenn er uns auch so einiges Tolle hinterlassen hat. Ich freue mich, wenn ich die Erinnerung an einen gern gelesenen Roman wachrufen konnte!

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  3. Weswegen ich gerne in Buchblogs lese ist, weil Bücher so unterschiedlich aufgenommen werden, und weil bei mir zur Literatur immer auch der Leser durch die Zeiten gehört. Wie wohl Capote, ein Pionier des True Crime Romans, als Neuerscheinung gelesen wurde? Ich denke, in der Zeit des Erscheinens war es Leuten wichtig, sich für innere Beweggründe zu interessieren und für das Umfeld. Als ich, Ende der Achtziger wohl, In Cold Blood las, hatte ich vorher die dicke Rowohlt-Ausgabe von Margret Boveri „Der Verrat im XX. Jahrhundert“ gelesen, an das ich denken muß, weil auch sie diese neugierige und gleichzeitig wissenschaftlich-nüchterne Methode der Erforschung anwendet – und obendrein packend schreibt.

    „Als letzter Teil des Buches ist dies im Gedächtnis geblieben, und es stört mich immer noch ein wenig. “ Kurioserweise habe ich bei Capote diesen letzten Teil mit Gerichtsverhandlungen und Gefängnisschilderungen gar nicht mehr in Erinnerung, würd‘ mich aber reizen, noch mal nachzulesen. Ich denke schon, dass es dazugehört, weil das Verbrechen in der Gesellschaft verübt wurde und Urteil und Strafe auch Teil des gesellschaftlichen Lebens sind. Die Verbrecher verschwinden eben nicht mit ihren Taten aus unserer Mitte, sobald sie in der Zelle stecken.

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    • Ich denke auch, dass das bei Erscheinen sensationell war, alle Informationen zu dem Verbrechen zu bekommen, also auch über das Innenleben der Täter. Wahrscheinlich waren die Menschen ziemlich geschockt, es gab auf jeden Fall wohl ein riesiges mediales Echo. Aber heutzutage ist es ja schon fast „normal“, auch den Täter zu Wort kommen zu lassen, da hat sich einiges geändert.
      Mir ist schon klar, dass der letzte Teil dazugehören muss, unbedingt, aber es sind dort so viele Details enthalten, die unerheblich erscheinen, und das Ganze verwischt ein wenig. Der Gefängnisaufenthalt der Täter ist z.B. von Interesse, aber die Verbrecherkarriere eines Mithäftlings in dem Fall nicht so sehr.

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  4. Schöne Besprechung zu einem tollen Buch. Ich habe es kürzlich im Rahmen einer Leserunde gelesen und bin immer noch begeistert. Unbedingt empfehlen kann ich den Film „Capote“ mit Philip Seymour Hoffmann in der Titelrolle, der im Wesentlichen die Entstehung von Kaltblütig behandelt. Capotes jahrelanges Warten auf die Vollstreckung des Urteils um das Buch zu veröffentlichen lassen auch ihn sehr kaltblütig erscheinen.

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    • Vielen Dank! Den Film habe ich noch nicht gesehen, werde ich aber unbedingt nachholen. Es hat ja wohl eine ganze Zeit gedauert, die waren ja ewig unterwegs, und dann gab es die Berufungen, und soweit ich weiß, war Capote von Anfang an dabei. Ich bin gespannt, wie das im Film umgesetzt wird!

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