Jonathan Franzen – Freiheit

„Warum die Konservativen, die doch immerhin alle drei Gewalten der Bundesregierung dominierten, noch immer so in Rage waren – auf respektvolle Zweifler am Irakkrieg, auf schwule Paare, die heiraten wollten, auf den faden Al Gore und die vorsichtige Hillary Clinton, auf gefährdete Arten und deren Fürsprecher, auf Steuern und Benzinpreise, die so niedrig wie in kaum einem anderen Industrieland waren, auf die Massenmedien, deren Besitzer doch selbst zu den Konservativen gehörten, auf die Mexikaner, die ihnen den Rasen mähten und ihr Geschirr spülten -, war für Walter ein Rätsel.“ (S.642/643)

freiheitWalter ist eine Seele von Mann. Er ist friedfertig, hat Verständnis, hört zu, hilft, vermittelt. Aber auch ihn bringen Dinge in Rage: die Überbevölkerung und die daraus resultierende Zerstörung des Lebensraums. Aber bis Walter anfängt, seiner Wut entsprechend zu handeln, geht viel Zeit ins Land.

Er hat keine glückliche Kindheit gehabt, Walter, aber als er ans College kommt, wendet sich sein Glück. Er findet einen Freund fürs Leben – den Musiker Richard Katz. Und er findet seine große Liebe – die Basketballspielerin Patty Emerson. Auch diese beiden hatten keine glückliche Kindheit, und erhoffen sich von der Zukunft Großes. Allerdings sieht dieses sehr unterschiedlich bei den Dreien aus.

Nachdem Patty einige Zeit zwischen Walter und Richard hin- und hergerissen ist, heiratet sie schließlich Walter und erfüllt sich ihren Traum: die perfekte Vorstadtfamilie, in der alles harmonisch abläuft und das Zusammenleben erstrebenswert ist. Sie haben zwei Kinder, Jessica und Joey. Und eben dieser Joey wird so gar nicht, wie Patty ihn brauchen kann: er weiß immer alles besser, stellt alles in Frage, ist wahnsinnig intelligent und zieht zu den Nachbarn, um mit deren Tochter zusammenzuleben. Als er auf der Highschool ist.

Patty kommt mit dieser Situation nicht zurecht, alles, was sie sich erträumt hatte, löst sich in Luft auf. So leidet auch ihre Ehe zu Walter. Dieser wiederum vergräbt sich in seiner Arbeit, versucht, Gutes zu tun und sieht sich mit gigantischen Hürden konfrontiert. Und Richard wird lange brauchen, bis er Erfolg hat, aber dieser Erfolg basiert auf ganz besonderen Freunden: Walter und Patty. Und so umkreisen sich die drei in immer anderen Konstellationen, kollidieren, streben voneinander weg und wieder aufeinander zu.

Freiheit kreist um die Freiheit der Individuen, und die Frage, inwiefern sie tatsächlich existiert oder ein reines Gedankenkonstrukt ist. Franzen gibt seinen Figuren „Freiheit“ – an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben haben sie die Möglichkeit, genau das zu tun, was sie sich immer gewünscht haben, und dies mit Erfolg. Lauter glückliche Menschen, sollte man annehmen.

Doch eine Entscheidung für etwas ist gleichzeitig auch immer eine Entscheidung gegen etwas, und dies ist doch im Grunde genommen die einzige Freiheit, die es gibt: Entscheidungen zu treffen. Denn genau dann hört die Freiheit auf, wenn man die Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen muss. Auch dies lässt Franzen seine Figuren spüren, er führt sie geradezu vor auf ihrem Höhenflug mit der anschließenden Talfahrt.

Aber auch hier spielt das Leben, wie es nun einmal spielt: Nach dem tiefen Fall fährt die Achterbahn wieder aufwärts, damit der Sturz abgebremst wird, und auch wenn die Bahn in den Kurven arg hin- und hergeschüttelt wird, kommt sie doch am Ende am Ziel an.

Wie zerzaust die Mitfahrenden danach sind, ist eine andere Geschichte. Und eine dieser Geschichten erzählt Jonathan Franzen in seinem Roman, und man sollte ihn unbedingt lesen. Und sich vor einem schlechten Gewissen, einigen Wutanfällen und ständigen Hinterfragungen wappnen. Die gibt Franzen einem nämlich immer mal wieder mit auf den Weg. Wie kleine Schläge auf den Hinterkopf oder mitten in die Fresse rein. Es kommt auf jeden Fall an.

© Beowulf Sheehan

Jonathan Franzen: Freiheit. Aus dem Englischen von Bettina Abarbanell und Eike Schönfeld. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, April 2012. OA: Freedom. Farrar, Straus and Giroux, New York 2010. 731 Seiten.

Jonathan Franzens Die Korrekturen wurden schon rezensiert.

7 Gedanken zu „Jonathan Franzen – Freiheit

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