Über Idealismus und ein Projekt

Ein Beitrag ein wenig abseits des normalen Blogverkehrs…

Neulich bekam ich eine Mail, in der ein Projekt erklärt und um Unterstützung gebeten wurde (näheres dazu kommt weiter unten). Ich hatte auch schon auf mehreren Blogs davon gelesen, deren Verfasser begeistert waren und ebenfalls um Unterstützung warben.

Mein erster Gedanke dazu war: Wow, das nenn ich mal Idealismus. Ein solches Literaturprojekt, in der heutigen Zeit? Das wird er nicht schaffen.

Dann ging es die nächsten Tage weiter. Warum nicht? Anscheinend ist doch Aufmerksamkeit da. Anscheinend teilen Menschen diesen Idealismus. Und das erste Geld fließt rein, Bewusstsein wird generiert.

Warum bin ich also im ersten Moment so pessimistisch? Das kommt wohl daher, dass ich mich selbst auch als Idealisten bezeichnen würde. Und ich weiß, wie schwer es heutzutage ist, einer zu sein. In einer Welt, in der man für etwas, das richtig, aber lästig ist, abfällig als „Gutmensch“ bezeichnet wird. In der man keinen Respekt bekommt, sondern nur Gegenwehr. In der man ausgelacht wird.

Wann ist es passiert, dass einzig als richtig angesehen wird, was Geld bringt? Dass einzig unterstützt wird, was Geld bringt? Das nur einen unmittelbaren Nutzen hat? Dass Projekte, die auf lange Zeit wirken müssen, nicht mehr unterstützt werden?

Dass Politiker nichts tun können, weil sie nur eine begrenzte Zeit haben, in der sie sich jeden verf*ten Tag mit Anfeindungen auseinandersetzen müssen, anstatt Weichen zu stellen, die das Land verbessern?

Dass Forscher für Konzerne forschen und nicht für die Menschheit? Dass sie so oft nicht frei sind in dem, was sie tun, sondern nur in einem kleinen begrenzten Bereich, von dem sich der Konzern Profit verspricht, forschen dürfen?

Dass Menschen, die in einem Land leben, in denen sie ärztlich versorgt werden, selbst wenn sie keine Versicherung bezahlen, die, obwohl sie nichts tun, Geld bekommen, die, wenn sie möchten, sich weiterbilden können, in einem Land, in dem es Kindergärten, Schulen für alle, Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser, Straßen, Radwege, Bibliotheken und noch so viel mehr gibt, was von einem kleinen Anteil, den jeder leisten soll, bezahlt wird, wie kommt es, dass so viele Menschen so unzufrieden sind? Dass Geld das einzig wichtige ist? Nicht Bildung, nicht vernünftig zu leben, nicht, die Welt zu verbessern. Nein, der andere hat (oder könnte eventuell vielleicht unter Umständen haben!) einen Euro mehr als ich. Das geht nicht. Dafür muss die Politik sorgen, dass ich das Meiste habe. Ob ich dafür etwas tat? Irrelevant.

Warum ist es nicht am Wichtigsten, dass man versucht, die Welt zu verbessern? Warum ist es z.B. nicht wichtiger für Pharmakonzerne, neue Medikamente zu entwickeln, als Profit zu machen? Warum ist es wichtiger, Banken (Geld, Geld, Geld) oder Automobilkonzerne (die über kurz oder lang ebenfalls irrelevant sein werden, ob sie wollen oder nicht), zu unterstützen, als Geld in die Bildung und Weiterentwicklung zu stecken?

Warum wird Status nicht an der Bildung und am „Gutmenschentum“ gemessen? Ist der Gedanke für so viele Menschen so unerträglich, in einer Welt zu leben, in der man sich nicht täglich mit irgendeinem Konflikt auseinandersetzen oder auf jemanden herabsehen muss? Einer Welt, in der man Empathie und gegebenenfalls sogar Mitleid mit anderen hat? In der man zusammenarbeitet, um Großes zu schaffen? In der es allen gut geht? Warum ist das so?

Das Projekt, von dem ich eben sprach, ist nur ein kleines Rädchen im Getriebe. Aber es ist ein Rädchen, das mich zu diesem Artikel brachte. Es handelt sich um eine Literaturzeitschrift, „Fünf. Zwei. Vier. Neun.“ Hier wird die Zeit der Weimarer Republik unter die Lupe genommen, jede Ausgabe soll einen anderen Aspekt, eine andere Fragestellung beleuchten. Jörg Mielczarek, der Kopf hinter dem Projekt, braucht Unterstützung, weswegen er ein Crowdfunding-Projekt gestartet hat. Es handelt sich um ein Projekt, das mich sehr interessiert, zumal es auch zu jeder Ausgabe ein Taschenbuch mit vertiefenden Texten geben soll. Und ich die Befürchtung habe, dass unsere Jetzt-Zeit später einmal mit der Weimarer Zeit verglichen werden wird. Und wir vielleicht so viel darüber lernen sollten, wie möglich. Und weil es einfach eine faszinierende Zeit war, mit einzigartigen Menschen und Werken, die zu entdecken sich lohnt.

Ich habe nicht viel Geld, aber ich werde etwas geben. Und ich ziehe meinen Hut vor jemandem, der ein solches Projekt mit so viel Enthusiasmus und Idealismus betreibt. Möge er ein Vorbild sein. Vielleicht kann der eine oder die andere sich beteiligen (ich weiß, ironisch, Geld, Geld, Geld soll es sein, aber vielleicht bringt das Geld hier einen Nutzen, einen Fortschritt?).

Weitere Informationen gibt es hier: https://www.facebook.com/literaturweimar

Auch Petra und Birgit und Constanze haben darüber geschrieben.

15 Gedanken zu „Über Idealismus und ein Projekt

  1. Pingback: [1001 Bücher] Über Idealismus und ein Projekt – #Literatur

  2. … ich glaube, diese Denkweise ist in etwa zur gleichen Zeit entstanden, in der man „etwas aus seinem Leben machen“ mit „berufliche Karriere“ gleichgesetzt hat- du sprichst mir aus der Seele!

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    • Danke 🙂
      Ja, ich denke, das hat viel damit zu tun. Sicherlich ist das auch ein Weg, aber nicht der einzige. Doch heutzutage versprechen Stellenanzeigen einem ja schon „Selbstoptimierung“, da ist auf jeden Fall was faul. Keine Aufgabe ist nicht gut, aber nur „Arbeitsaufgabe“ ist auch kein Leben.

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  3. Hier ist noch so ein Idealist und Dein Text spricht mir aus dem Herzen.
    Wir müssen schauen, dass wir einen sehr viel intelligentere, bessere Wirtschaftsform finden, einen stark verbesserten Kapitalismus, der ohne Wachstum auskommt und die Lebewesen in den Mittelpunkt stellt.

    Ein Thema bei dem wir wunderbar bei Dosenbier die Nächte durchquatschen könnten 🙂

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    • Ja, das ist wohl richtig. Allerdings höre ich bei „ohne Wachstum“ schon unheimlich viel Geschrei. Aber wenn kluge Köpfe sich damit auseinandersetzen und das in Gang bringen könnten, wäre schon mal viel gewonnen, denke ich.
      Und diese Nächte, ja, die würden wir uns definitiv um die Ohren hauen 😉

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  4. 359.

    Vor grauen Fensterscheiben. — Ist denn Das, was ihr durch diess Fenster von der Welt seht, so schön, dass ihr durchaus durch kein anderes Fenster mehr blicken wollt, — ja selbst Andere davon abzuhalten den Versuch macht?

    (Friedrich Nietzsche, „Menschliches, Allzumenschliches“, Buch II)

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  5. Ich gebe dir sehr umfänglich recht in dem, was du schreibst. Mich lässt das oft ebenso ratlos zurück.
    Besonders das Projekt, von dem du schreibst, finde ich auch sehr schön und würde mir wünschen, dass es Erfolg hat. Ich hab es auch unterstützt, wenn auch mit keinem sehr großen Beitrag. Es wäre toll, wenn das was wird.

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  6. Ich finde die Aktion toll und unterstütze sie auch. Zur Zeit herrscht auch bei mir eine gewisse Verzweiflung über die gesellschaftliche Entwicklung. Aber Veränderung beginnt bei jedem Einzelnen. Tun wir also etwas – jeder nach seinen Möglichkeiten! Liebe Grüße Peggy

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