Buch #66: Kazuo Ishiguro – Alles, was wir geben mussten

Vor dem Lesen dieser Rezension: Sie enthält Spoiler und könnte eventuell die Leselust auf den Roman verderben.

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Tja, nun. Selten habe ich mich so schwer getan, etwas über einen Roman zu schreiben. Vor allem, da ich nach der Lektüre von Was vom Tage übrig blieb sehr gespannt auf dieses Buch war, dessen Verfilmung ja auch eher positiv besprochen wurde. Zudem eine Dystopie, was konnte also groß schiefgehen? Nun, so ziemlich alles.

Die Geschichte in Alles, was wir geben mussten wird von Kathy B. erzählt, einer, wie anzunehmen ist, jungen Frau, die in einem Internat aufwuchs. Sie erzählt von dieser Zeit und ihrem täglichen Leben dort, von der Schule und von ihren Freunden, insbesondere von Ruth und Tommy. Kathy und Ruth sind beste Freundinnen, Tommy ist ein jähzorniger Junge, der sich aber im Laufe der Zeit fängt und mit Ruth zusammenkommt.

Kathy erzählt von ihrer Kindheit und Jugend in dem Institut, Hailsham, von ihren „Aufsehern“, von ihren Tauschmärkten, auf denen sie ihre eigenen „Kunstwerke“ gegen andere tauschen, von „Madame“, die regelmäßig vorbeikommt und „Kunstwerke“ für ihre Galerie mitnimmt. Sie wundern sich darüber, bekommen sie doch keinen Gegenwert, und Madame ist ihnen auch unheimlich, sieht sie sie doch eher an, als seien sie wilde Tiere.

Im Laufe der Erzählung gibt es also einen kleinen Hinweis nach dem anderen, aber es dauert sehr lange, bis der Leser weiß, was los ist. Der Roman ist in drei Teile geteilt, der erste erzählt von der Schulzeit, der zweite von der Zeit danach, und der dritte dürfte Kathys unmittelbare Vergangenheit darstellen. Langsam, sehr langsam entziffert sich der Leser also, was Kathy sagen will, nämlich dass sie alle Klone sind, die nur dem Zweck dienen sollen, ihre Organe zu spenden. Diese Spenden erfolgen anscheinend Stück für Stück, wobei manche nach der zweiten „abschließen“, manche bis zur vierten durchhalten, wonach ihnen alle bleibenden Organe entnommen werden und sie dann „abschließen“.

Nun braucht man aber nicht zu denken, dass irgendeiner der Klone damit größere Probleme zu haben scheint. Sie nehmen alles hin, wie es ist, und tun das, was sie tun sollen. Gerade Kathy ist sehr ergeben, nicht nur ihrer Zukunft, sondern ihrer ganzen Welt gegenüber. Ihr Erzählstil ist äußerst ruhig, emotionslos, wie ein Bericht. Und so berichtet sie, wie sie Ruth und Tommy hilft, wie sie sie wieder zusammenbringt, wie sie emotionale Momente mit Tommy verbringt, aber auch, wie sie nie etwas sagt, bis Ruth den beiden schließlich die Erlaubnis gibt, zusammen zu sein, sehr spät erst allerdings, als Tommy schon angefangen hat zu spenden. Nun ja, dann haben sie halt dann eine schöne Zeit.

Ebensowenig stellt Kathy jemals eine Frage zu ihrer „Aufgabe“. Sicher, sie wundern sich alle, wissen unterbewußt, dass mit ihnen etwas anders ist, aber sie graben lieber nicht zu tief. Zufällige Bemerkungen ihrer „Aufseher“ werden zwar registriert, aber nicht weiter hinterfragt. Als sie aus der Schule entlassen werden, erfahren sie gerüchteweise, dass Paare, die nachweisen können, dass sie sich wirklich lieben (wie auch immer das funktionieren soll), sich zurückstellen lassen können. Aber auch da forschen sie nie nach, bis Ruth ihnen sagt, sie sollen es tun. Auch das wieder viel später. Als sie dann schließlich hinter einige Geheimnisse von Hailsham kommen, auch das eher zufällig, wissen sie zwar mehr, nehmen aber auch das hin.

So ist dies ein Roman über „Schafe“, die sich willig zur Schlachtbank führen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Organspende wird hier in diesem Sinne dargestellt. Ich weiß allerdings beim besten Willen nicht, warum man ihnen ein Organ nach dem anderen entnimmt und sie sich dann erholen lässt, wobei, wenn man es so betrachten wollte, es sicherlich besser wäre, wenn schon, dann alle auf einmal zu entnehmen und den Körper keiner Regeneration auszusetzen, zumal es ja auch nicht lange weitergehen kann und dann doch alle entnommen werden.

So hat diese ganze Sache natürlich einen Beigeschmack, der sich, wie ich mir vorstelle, doch in dem einen oder anderen Kopf festsetzt und Menschen davon abhält, einen Ausweis auszufüllen. Als ein Mensch, der in unmittelbarem Umfeld eine Spende miterlebt hat, kann ich das absolut nicht nachvollziehen. Ich habe den Ausweis, seit ich 18 bin, und wenn ich tot bin, können sie gerne alles von mir haben, ich brauche es dann nicht mehr. Aber andere Menschen schon. Andere Menschen können dann weiterleben. Andere Menschen können bei ihren Familien bleiben, oder welche gründen, oder ihre Leben weiterleben. Würden mehr Menschen so denken, bräuchte man sich über solche Szenarien keine Gedanken zu machen. So einfach ist das.

Ich habe, als ich das Buch zuschlug, andere Meinungen darüber gelesen, weil ich so unglaublich erzürnt war und wissen wollte, wie es ankam (tatsächlich hauptsächlich positiv). Viele sprechen von einer Parabel auf die Gesellschaft, die Menschen, die sich nicht wehren, die ihr Leben tagein, tagaus leben ohne eine Nachfrage. Das mag ja sein, aber ich bezweifle, dass diese Menschen das Buch erreicht und sie aufrüttelt. Oder geht es vielmehr darum, dass Gentechnik die Ausgeburt der Hölle ist? Dass aber gezeigt werden soll, dass Klone auch menschliche Menschen sind, und man sich deshalb viele Gedanken darüber machen sollte, ob man sie erschafft? Geschenkt. Ich weiß wirklich nicht, was ich über diesen Roman sagen soll, außer, dass ich es für eine riesige Zeitverschwendung halte, dieses Manifest des Übersichergehenlassens zu lesen, und für eine riesige Unverschämtheit, das vor einem Thema auszubreiten, das Menschen davon abhalten könnte, Menschenleben zu retten.

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Das einzig Gute war, dass ich bemerkt habe, dass ich nach meinem Umzug keinen aktuellen Ausweis mehr hatte. Man bekommt sie beim Arzt, in Apotheken, beim Blutspenden, als Download.

Und wenn Ishiguro Eindruck hätte machen wollen, hätte er eine Heldin kreieren sollen, die um sich, ihr Leben, ihre Liebe kämpft, damit man beim Zuschlagen des Buches wenigstens nicht das Gefühl hat, in einen dumpfen Wattebausch gesteckt worden zu sein, und sich feste schütteln will, damit irgendeine Bewegung entsteht. Wie gesagt, mir ist klar, dass viele Leser diesen Roman für unglaublich gut und unglaublich weise halten, aber ich weiß nicht warum. Und, mich wird auch keiner vom Gegenteil überzeugen können, deswegen bitte ich darum, mir dies zu ersparen.

Kazuo Ishiguro: Alles, was wir geben mussten. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Wilhelm Heyne Verlag, München. Verlagsgruppe Random House. 2016. OA: Never let me go. Faber and Faber Ltd., London. 349 Seiten.

Ich danke Random House für das Rezensionexemplar.

25 Gedanken zu „Buch #66: Kazuo Ishiguro – Alles, was wir geben mussten

  1. Ich habe das Buch im Schrank stehen, aber noch nicht gelesen. Ich kenne nur den Film, deswegen kann ich nur eine Meinung zur Story an sich geben. Was du beschreibst kam im Film auch so rüber fand ich. Dieses Hinnehmen und nicht nachbohren. Ich hätte es spannender gefunden, wenn mehr in der Richtung passiert wäre, anstatt dadurch eine merkwürdige Melancholie zu erzeugen. Einen Helden gab es natürlich auch nicht. Es gab einzig und allein die Darstellung einer Tragödie: guckt was da mit den armen Menschen passiert. Ich muss schon sagen, dass ich das ziemlich traurig fand, grad wenn es um Liebe geht. Das hatte mich auch sehr getroffen, aber ich denke auch, dass man mehr aus der Story an sich hätte rausholen können. Ich habe deshalb auch noch keine Lust gehabt das Buch zu lesen…

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    • Ich hätte vielleicht Mitleid gehabt und es traurig gefunden, wenn sich auch nur einer versucht hätte zu wehren, seinem Schicksal zu entkommen, jemanden aufmerksam zu machen oder irgendwas. So hielt sich das doch in Grenzen bei mir. Den Film habe ich nicht gesehen, vielleicht bzw. wahrscheinlich kommt es da anders rüber. Vielleicht liest Du es ja irgendwann und kannst sagen, ob es so ist 🙂

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  2. Pingback: [1001 Bücher] Buch #66: Kazuo Ishiguro – Alles, was wir geben mussten – #Literatur

  3. Seltsam, alles was du schreibst klingt total stimmig, aber ich mochte das Buch sehr sehr gerne und auch den Film. Du machst mich total neugierig, ob ich das beim Wieder-Lesen jetzt anders empfinde oder nicht. Schöne Rezension – trotz unser unterschiedlichen Ansicht. Liebe Grüße und yep den Spenderausweis will ich schon mindestens solange besorgen wie den seit 2009 abgelaufenen Perso erneuern *seufz*

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    • Ich schätze, wenn man persönlich von einem Thema betroffen ist, geht man von vornherein anders an die Sache ran – es war mir nicht möglich, das anders zu sehen. Aber es würde mich auch interessieren, ob Du das anders siehst, wenn Du es unter dem Aspekt liest. Wie dem auch sei, unterschiedliche Meinungen sind ja gut 🙂
      Ich hab vorige Woche einfach nen kurzen Stop in der Apotheke gemacht, aber im Krankenhaus bei den Blutspendern gibt es richtig hübsche Karten. Muss ich beim nächsten Mal dran denken (und der Perso, das kann teuer werden 🙂 ). Liebe Grüße zurück und ein schönes Wochenende!

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  4. Ich habe das Buch gerade letztes Jahr gelesen und fand es gerade deshalb so bedrückend, weil sich alle wie die Lämmer zur Schlachtbank führen lassen. Dass es allerdings Menschen von einer Organspende abhalten könnte, auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, weil das dort beschriebene Szenario ja alles andere als wünschenswert ist. Meine Adresse muss ich auf dem Ausweis auch mal ändern – danke für den Hinweis 😉

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    • Naja, dann könnte man das Fass aufmachen, ob sie als Klone tatsächlich „richtige“ Menschen sind, denn ich denke, in einer Gruppe von Menschen gibt es immer welche, die das Spiel durchblicken und zumindest versuchen, etwas zu ändern. Ich glaube nicht, dass die „perfekte“ Manipulation existiert, vor allem, da es hier ja um ihr Überleben geht.
      Am Ende, wenn über das „Abschließen“ spekuliert wird, werden noch einige Fragen aufgeworfen, und Du sagst es ja schon, das beschriebene Szenario ist alles andere als wünschenswert. Da kann ich mir schon vorstellen, dass einige Menschen negative Assoziationen haben, zumal das Thema ja auch für viele ein rotes Tuch ist.
      Und ja, ich bin mir nicht sicher, ob es etwas ausmacht, wenn die Adresse nicht stimmt, aber wenn, dann wäre es ja doof, wenn es deshalb nicht klappt 🙂

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  5. Interessante Rezension! Die Lektüre des Romans ist bei mir zu lange her, als dass ich wirklich detailliert etwas sagen könnte, es hat mir gefallen, so viel weiß ich noch. Und wie Wissenstagebuch habe ich die Verbindung, die Du gezogen hast, ebenfalls gar nicht gesehen, für mich war das Ganze glaube ich eher eine düstere Zukunftsversion. Kein Überzeugungsversuch 😉 Unterschiedliche Meinungen dürfen sein und müssen sein dürfen 🙂

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    • Ich habe es auch nicht als Überzeugungsversuch gelesen, aber ich denke, wie Wissenstagebuch schon sagte, das Szenario ist alles andere als wünschenswert und hinterlässt deswegen schon einen Eindruck nach dem Lesen. Vielleicht, vielleicht nicht 🙂
      Und bei den Meinungen bin ich absolut bei Dir, es würde nicht funktionieren, wenn alle der gleichen Meinung wären, oder wir könnten uns auch wie die Schafe vor der Schlachtbank einlullen lassen 🙂

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  6. Ich mag deine Art, das Buch zu interpretieren. Ich habe es jedoch anders bewertet und beschrieben. Das sich-Fügen der Protagonisten als Ergebnis einer totalen Unterdrückung im Sinne perfekter Manipulation. Und mir hat eher das Angst gemacht. Dass so etwas möglich sein könnte. Das mehrstufige Spenden hat mich aus einem anderen Grund stutzig gemacht. Ich glaube nämlich, dass du menschen gar nicht am Leben erhalten kannst, wenn du ihnen vitale Organe entnimmst. Eine Niere, OK. Aber etwas Anderes? Wie sollen sie sich davon erholen? Ich habe das aber in meine Rezension nicht eingefügt, denn ich dachte „dichterische Freiheit“…

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    • Ich bin mir nicht sicher, ob ich an diese perfekte Manipulation glauben kann, zumal wenn ich an die anderen Klone denke, die nicht unter den Umständen aufgewachsen sind wie hier beschrieben. Eher denke ich, dass es immer Individuen gibt, die nicht mitmachen, auch wenn die große „Herde“ hinterherläuft.
      Man kann auch ein Stück von seiner Leber spenden, glaube ich, wären mit der Niere also zwei. Und wenn es nicht darum geht, dass man nachher fidel durch die Gegend läuft, kann man vielleicht auf einen Lungenflügel verzichten? Aber ich seh das auch nicht ein, wozu sollte das gut sein?
      Ishiguro hat auf jeden Fall eines geschafft: Sein Buch hat viele Meinungen kreiert, und viele dieser Diskussionen sind bestimmt schon geführt worden. Das ist ja nu nicht schlecht 🙂

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  7. Ich habe das Buch nicht gelesen, nur den Film gesehen, aber ich hatte mit diesem ähnliche Probleme wie du. Diese Passivität, das Fügen ins Schicksal – das war einfach nicht mein Fall.

    Dass die Prämisse des Romans bzw. der Verfilmung Menschen davon abhalten könnte, einen Spenderausweise auszufüllen, auf die Idee wäre ich allerdings nicht gekommen. Vielleicht bin ich aber als Österreicherin auch nicht sehr auf dieses Thema sensibilisiert, da hierzulande ja die Widerspruchslösung gilt und also das Ausfüllen eines Organspenderausweises nicht notwendig ist.

    Bislang habe ich leider von Kazuo Ishiguro gar nichts gelesen, da mich die Verfilmung so abgeschreckt hat, aber möglicherweise probiere ich es doch einmal mit „Was vom Tage übrig blieb“.

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    • Es ist natürlich möglich, dass ich etwas zu sensibel auf dieses Thema reagiere – so scheint es zumindest, da viele verwundert waren. Ich wusste nicht, dass Ihr diese Widerspruchslösung habt, halte das aber für großartig. Dann muss sich jeder mit dem Thema auseinandersetzen.
      „Was vom Tage übrig blieb“ kann ich auf jeden Fall empfehlen, es ist auch eher ruhig, aber da passt das meiner Meinung nach.

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  8. Mir gefällt die Rezension und auch dein Schlussstatement – das ganz besonders. Allerdings könnte ich mir denken, dass die Klone so gemacht wurden, dass sie ihr Schicksal fraglos hinnehmen. Dann wären ihre Erzeuger die eigentlichen Adressaten deiner Empörung.

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    • Vielen Dank! Die Erzeuger sind natürlich sowieso die Adressaten meiner Empörung, allein der Gedanke, andere Lebewesen zu erschaffen, um sie dann für ihre Zwecke auszuweiden. Hm, vielleicht geht es ja tatsächlich um Tiere… dann würde es sinnvoller sein. Und es kann natürlich sein, dass die Klone so gemacht wurden – aber was will der Autor mir dann sagen? Böse Menschen, die böse Klontechnik machen, das ist nicht gut? Das wäre ja dann doch ein wenig Holzhammer, finde ich.

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      • Moralischer Holzhammer, mag sein. Andererseits scheint der Autor hier das Thema des Dienens aufzugreifen, das auch in ‚Was vom Tage übrigblieb‘ im Zentrum steht – mit all seinen Konsequenzen. Aber er stellt es als positiven Wert dar, der der Selbstverleugnung des Butlers traurigen Glanz verleiht. Das wiederum finde ich durchaus interessant.

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      • Ja, in „Was vom Tage übrigblieb“ hat das eine bizarr positive Wirkung, den Eindruck hatte ich auch. Einmal die freiwillige Selbstverleugnung, einmal die unfreiwillige. Ich weiß es auch nicht, ich weiß nur, dass, was immer Ishiguro mir vermitteln wollte, nicht angekommen ist. Und das passiert wohl manchmal 🙂

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  10. Du hattest geschrieben, dass du deine Rezension gar nicht groß diskutieren möchtest. Da es hier aber durchaus auch schon einen Austausch gab, möchte ich gerne meine Sichtweise ergänzen. Ich hoffe, das ist in Ordnung, auch wenn ich vorher hier noch nie kommentiert habe.
    Ich habe Ishiguros Roman als Kommentar zur Debatte um das therapeutische Klonen verstanden. Hier geht es ja um die Fragen, wann „Leben“ beginnt und ob es in Ordnung ist, ein künstlich erzeugtes Leben, also den Klon, für ein „echtes“, natürlich entstandenes Leben zu opfern, indem man dem geklonten Embryo Stamzellen entnimmt.
    Der Durchschnittsbürger beschäftigt sich mit solchen Fragen eher nicht eingängig, am ehesten wird der geklonte Embryo noch als „nicht echtes“ Leben angesehen und man ist recht schnell der Auffassung, dass das natürliche Leben mehr wert ist.
    Ishiguro spinnt diesen Gedanken jetzt weiter, bis zu einem Punkt, wo es sich eben nicht um einen anonymen Embryo ohne Persönlichkeit handelt. Wir lernen die Klone sehr genau kennen, bekommen tiefe Einblicke in ihre Gedanken, Träume und Gefühle. Und plötzlich ist die Frage eben schwieriger – wie das eben auch bei dem Gespräch mit der ehemaligen Schulleiterin deutlich wird. Ich glaube, dass Ishiguro hier gar keine Stellung beziehen möchte, sondern einfach nur aufzeigen möchte, wie komplex das Thema ist und dass es sich um eine Fragestellung handelt, die man genauer betrachten muss.
    Dass die Klone sich ihrem Schicksal so fügen, liegt meiner Meinung nach daran, dass sie einfach mit diesem Schicksal aufwachsen. So ist der Mensch – er hinterfragt nur selten seine Position im Leben. Ein Aufbegehren gegen dieses Schicksal wäre sicherlich „spannender“, aber es würde von der eigentlichen Fragestellung ablenken.

    Dass der Roman den Einzelnen, der sich vielleicht nicht so tiefgründig mit der Thematik und den Motiven beschäftigt, von Organspenden abhalten kann, hatte ich bislang nicht bedacht. Ich nehme an, dass das möglich ist. Ich würde aber annehmen, dass das nicht viele Leser betreffen wird. Aber, ja, jeder einzelne, der sich aufgrund des Romans gegen Organgspende entscheidet, ist einer zuviel. Da bin ich ganz bei dir.

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  11. Als professioneller Leser (Autor, Lektor, ehem. Prof. für Linguistik) wäre ich nie auf die Idee gekommen, ein Buch von seinem Plot her zu bewerten. Es ist doch der Stil, der einen Roman ausmacht. Da ich seit ewigen Zeiten in England lebe, habe ich dieses Buch in der Originalsprache gelesen und fand es gut geschrieben ohne Klischees, Wiederholungen oder unpassenden Metaphern. Und macht es nicht das Wesen dieser Dystopie aus, dass das Grauen als normal empfunden wird?
    Dass du deine Rezension nicht diskutieren möchtest, sagt doch schon alles.

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