Han Kang – Deine kalten Hände

Der Roman Deine kalten Hände ist ein frühes Werk der Autorin Han Kang, die mit ihren jüngeren Büchern viel Beachtung gefunden hat. Für mich ist es jedoch der erste Roman, den ich von ihr lese, was meinen Eindruck vielleicht etwas anders als den derjenigen macht, die schon mehr von ihr gelesen haben.

Die Schriftstellerin H. hat durch Zufall mehrere Kunstwerke des Künstlers Jang Unhyong erlebt, welche großen Eindruck bei ihr hinterlassen haben. Jang Unhyong nimmt Abdrücke von Körperteilen, um diese als Formen zu verwenden oder neue Kunstwerke daraus zu kreieren. Eines Tages treffen sich die beiden, und H. fragt Unhyong nach seinem Antrieb. Er bleibt die Antwort schuldig. Einige Zeit später kontaktiert seine Schwester H., um ihr mitzuteilen, dass Unhyong vermisst werde, er aber ein Manuskript hinterlassen habe, in dem auch sie erwähnt werde. Sie schickt ihr dieses Manuskript.

Das Manuskript ist in drei Teile unterteilt, von dem das erste seine Kindheit, das zweite seine Begegnung mit L. und das dritte die Begegnung mit E. beschreibt. Schon als kleiner Junge war ihm bewusst, dass wir in einer Welt der Masken leben, jeder, er selbst ebenso.

„Mit der großen, schwarzen, viereckigen Hornbrille sah ich mir selbst nicht mehr ähnlich. Dass mein Gesicht völlig verändert aussah, war befreiend. Wie in einer guten Verkleidung hatte ich den Eindruck, dass mich niemand mehr erkennen konnte.“ (S.51/52)

Er ist sehr einsam, fühlt sich nicht zugehörig, sein liebloses Elternhaus gibt ihm keine Geborgenheit, kann ihm seine Ängste nicht nehmen.

„Ich bekam gute Noten, war gehorsam und tüchtiger als alle anderen. Aus diesem Grund wurde ich nicht im Stich gelassen.“ (68)

Er geht auf die Universität und studiert Kunst. Erste Ausstellungen werden positiv aufgenommen. Er wendet sich von den Masken ab, ist besessen von Händen. Und er begegnet L., die stark übergewichtig ist und die für ihn faszinierendsten Hände hat. Sie wird sein Modell, zuerst für die Hände, später für den ganzen Körper. Es entwickelt sich etwas zwischen ihnen, und sie öffnet sich ihm langsam, und erzählt ihm ihre Geschichte. Und verlässt ihn für einen anderen, ein zerstörerischer Schritt.

Als er E. kennenlernt, übt diese eine ganz andere Faszination auf ihn aus. Er will ihr Gesicht, eine Maske ihres Gesichts. Doch sie will ihre Maske vor ihrem Gesicht behalten, denn auch sie hat eine Geschichte dahinter zu verbergen.

Deine kalten Hände ist ein einfühlsamer, brutaler Roman. Ja, das ist möglich, Han Kang macht es möglich. Viele Themen werden angeschnitten, was manche Rezensenten bemängelt haben, es geht um Gewalt, Körperidentität, Krankheit, und ja, die Masken, die wir alle tragen. Sie behandelt ihre Themen in einer recht kühlen Sprache, sie lässt Unhyong erzählen, aber selten wird er emotional. Was genau diese Emotionalität auf mich zurückgeworfen hat. Der Roman hat mich im Inneren gepackt und in den Magen geboxt, er hat mich hineingesogen und wieder ausgespuckt, er war ekelhaft und so nah an mir dran.

Jeder trägt seine Masken, sie bieten Schutz, man kann sich verstecken, muss der Welt nicht sein Innerstes herausposaunen. Doch dreht man diese Masken um, sieht man, je fester sie auf dem Gesicht gesessen haben, jede Linie, jedes Abzeichen, das das Leben hinterlassen hat, eingeprägt, für immer konserviert. Vielleicht will man sie dann zerschlagen. Bevor jemand sie betrachten kann.

Ich weiß nicht, wie viel meisterlicher Han Kang schreiben kann, bin einerseits gespannt, wie sie sich weiter entwickelt hat, andererseits ein wenig abwartend, weil dieser Roman mir so gut gefallen hat.

Ich danke dem  Aufbau Verlag für das Rezensionsexemplar. Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat meine Meinung in keiner Weise beeinflusst.

Han Kan: Deine kalten Hände. Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel. Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 2019. OA: Erschienen bei Moonji Publishing, 2002. 312 Seiten.

10 Gedanken zu „Han Kang – Deine kalten Hände

  1. Möchte ich auch unbedingt noch von ihr lesen, eine großartige Autorin. Wir haben „The Vegetarian“ vor ein paar Jahren im Bookclub gelesen und ich war sprachlos. Es ist eines meiner absoluten Lieblingsbücher. Liebe Grüße 🙂

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  2. Ich habe bislang ,,Die Vegetarierin“ und ,,Menschenwerk“ von ihr gelesen. ,,Menschenwerk“ fand ich unglaublich beeindruckend. Einfühlsam und grausam zugleich trifft es gut. ,,Deine kalten Hände“ steht noch aus; ich glaube, Han Kang ist eine besondere Entdeckung für den deutschen Buchmarkt.

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  3. Bin gerade auch dabei (gut halb durch jetzt) und kann dir wirklich nur nachdrücklich empfehlen, auch ihre anderen Bücher in Angriff zu nehmen. „Die Vegetarierin“ ist großartig, „The White Book“ (bisher nur auf Englisch erhältlich) auch. „Menschenwerk“ allerdings und so unfassbar genial, dass es für mich jenseits der 5 Sterne liegt. Also: lies weiter! 😉

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  4. Hallo,

    einfühlsam und brutal, das passt perfekt und trifft meines Erachtens auch auf ihre anderen Bücher zu. Ich glaube, dieser Widerspruch ist genau das, was mich daran fasziniert.

    Wenn dir dieses Buch gefallen hat, kann ich „Die Vegetarierin“ sehr empfehlen! Auch „Menschenwerk“ fand ich großartig, aber das ist eine ganz andere Art von Roman.

    Ich hoffe darauf, dass noch mehr ihrer Werke aus dem Koreanischen übersetzt werden!

    LG,
    Mikka
    [ Mikka liest von A bis Z ]

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    • Hallo Mikka, ich kann diese Faszination sehr gut nachvollziehen! Und da Han Kang bei „Deine kalten Hände“ ja erst angefangen hat, bin ich sehr gespannt, wie sie sich weiter entwickelt hat. Ich werde auf jeden Fall ihre anderen Werke lesen.
      Viele Grüße!

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