„Innigst geliebtes Menschenkind“ – das steht auf dem Grabstein eines kleinen Mädchens, dem ihre eigene Mutter mit einer Säge die Kehle durchschnitten hat.
Wir befinden uns im Amerika kurz nach dem Sezessionskrieg in Cincinnati. Sethe, eine ehemalige Sklavin, ist hochschwanger von Sweet Home geflüchtet. Ihre drei anderen Kinder hat sie vorgeschickt zu ihrer Großmutter, Baby Suggs, und nun kommt sie mit ihrer neugeborenen Tochter Denver ebenfalls dort an.
Nachdem Baby Suggs sie wieder auf die Beine gebracht hat, holt ihre Vergangenheit Sethe ein: ihr Besitzer kommt, sie zu holen. Der Mann, der Lehrer ist und seine Schüler Sethes menschliche und tierische Seiten aufzählen lässt. Der Mann, der sie hat auspeitschen lassen, bis ihr Rücken zerfetzt war. Der Mann, der sie hat vergewaltigen lassen und ihre Muttermilch für das kleine Mädchen und das Neugeborene weggenommen hat. Sethe weiß sich nicht anders zu helfen, als ihre Kinder zu töten, damit ihnen nichts passiert. Sie wird aufgehalten, aber das kleine Mädchen stirbt.
Nachdem Sethe aus dem Gefängis freigekommen ist, lebt sie weiter bei Baby Suggs, und pflegt diese bis zu ihrem Tod. Die beiden Söhne, aufs Äußerste zerstört über Sethes Tat, laufen weg. Nur Denver, die damals ein Baby war, lebt mit ihr zusammen. In einem Haus, in dem es spukt, in dem das tote kleine Mädchen mit ihnen lebt.
Eines Tages steht Paul D vor der Tür, der ebenfalls auf Sweet Home Sklave war. Er erzählt ihr, dass er ihren Mann, Halle, noch einmal gesehen habe, aber niemand weiß, ob er noch am Leben ist. Sethe lässt Paul D in ihr Haus und in ihr Leben. Er vertreibt den Geist des kleinen Mädchens.
Nach einem Ausflug auf den Jahrmarkt, der einen Tag für Schwarze geöffnet hat, und an dessen Ende so etwas wie ein Familienglück für Sethe, Paul D und Denver entsteht, finden sie vor ihrem Haus eine junge Frau: Sie nennt sich Menschenkind.
Sie wird aufgenommen und geliebt, aber sie versucht nun ihrerseits, Paul D zu vertreiben. Dies gelingt allerdings erst durch jemanden, der Paul D von den damaligen Ereignissen erzählt. Nun sind die Frauen wieder unter sich. Und Menschenkind lässt Sethe für das büßen, was sie ihr angetan hat…
Der Roman ist ein Blick auf die damaligen Verhältnisse: die Sklaverei, die frisch gewonnene Freiheit, die so ungewohnt ist, die Ängste, das kleine Glück, das neue Leben, das nun aufgebaut werden kann. Erinnerungen werden unterdrückt, und kommen doch wieder hoch. Wie diese hier, nach einem Fluchtversuch:
„Als die Weißenmänner an die Stelle zurückkommen, wo sie ihre Pferde angebunden haben, und aufgesessen sind, werden sie ruhiger und schwatzen miteinander über die Schwierigkeiten, die ihnen nun bevorstehen. Die Probleme. Stimmen erinnern den Schullehrer daran, wie sehr gerade diese Sklaven von Garner verwöhnt worden sind. Es gibt schließlich Gesetze gegen das, was er getan hat: die Nigger sich selbständig verdingen lassen, damit sie sich freikaufen können. Sogar Waffen hat er sie tragen lassen! Und denkst du, er hätte diese Nigger gepaart, damit er noch mehr kriegt? Von wegen! Heiraten wollte er sie lassen! Wenn das nicht der Gipfel ist! Der Schullehrer seufzt und meint, er hab’s ja gleich gewußt. Er sei gekommen, um die Farm in Ordnung zu bringen. Und jetzt stehe noch ein größeres Durcheinander bevor als das, das Garner hinterlassen habe, wegen dem Verlust von zwei Niggern, mindestens, wenn nicht gar von dreien, weil er nicht sicher sei, ob sie den noch fänden, der Halle heiße. Die Schwägerin sei zu schwach, um zu helfen, und verdammt wolle er sein, wenn er es hier jetzt nicht mit der großen Massenflucht zu tun habe. Jetzt werde er den hier für neunhundert Dollar, wenn er soviel bekomme, verkaufen und sich dranmachen müssen, die Trächtige samt ihrem Wurf sicher zu verwahren und den anderen dazu, wenn er ihn finde. Mit dem Erlös von „dem hier“ würde er zwei junge kriegen können, zwölf oder fünfzehn Jahre alt. Und zusammen mit der Trächtigen, ihren drei Pickaninchen und dem, was bei ihrem Wurf rauskomme, hätten er und seine Neffen dann sieben Nigger, und dann werde Sweet Home vielleicht die Mühe lohnen, die es ihn gekostet habe.“
(Toni Morrison: Menschenkind. S. 310/311)
Es ist ein bedrückendes Buch. Ein Buch, das von einer Freiheit spricht, von der man doch weiß, dass es bis zum heutigen Tag andauert, diese Freiheit zu erlangen. Die Freiheit der Sklaven fängt hier an, nach dem Sezessionskrieg, und doch gibt es immer noch so viel Rassenhass. Auch die Schwarzen wissen noch nicht so ganz, was sie mit ihrer Freiheit anfangen sollen, sie tragen die Last der Erinnerung mit sich herum und sind oft verbittert, versteinert, nicht in der Lage, nach vorne zu sehen.
Doch es erzählt auch von einer großartigen Gemeinschaft, einer gemeinsamen Vergangenheit und eine Zukunft, die gemeinsam aufgebaut wird. Von einer einzigen großen Familie, in der jeder auf jeden aufpasst und jeder jedem hilft. In der die einzelnen Geschichten zu einer werden, und an einer neuen Geschichte für die nächste Generation gearbeitet wird.
Es ist ein Buch über Unsägliches, und es ist ein Buch über Hoffnung. Ich kann es nur empfehlen, auch wenn die verschiedenen Handlungsstränge in verschiedenen Zeitebenen es teilweise etwas verwirrend machen, zu folgen und zu verstehen, was denn nun wirklich passiert. Auch auf die Sache mit dem Geist des Mädchens, das plötzlich in Persona dasteht, muss man sich einlassen. Tut man dies jedoch, bekommt man ein Stück Geschichte, das einen nicht kaltlässt, da es nicht nur dargestellt wird, sondern beispielhaft das Gefühl von so vielen Menschen vermittelt.
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