Marcus Kolpa, den wir bereits aus Der nächtige Ort kennen, hat inzwischen seine große Liebe Chaja geheiratet und mit ihr eine Tochter, Rebecca, bekommen. Doch als Rebecca ein halbes Jahr alt ist, verschwindet Chaja spurlos, von einem Tag auf den anderen ist sie weg.
Als nach Jahren immer noch kein Lebenszeichen von ihr aufgetaucht ist, entschließt sich Marcus, mit seiner Tochter fortzuziehen. Er hat einen sehr erfolgreichen Roman geschrieben, weswegen er sich jetzt eine Art Burg auf einem Hügel – oder Berg, wie die Holländer sagen – leisten kann. Ein großes, düsteres Haus, auf einem Hügel im Wald gelegen, weit weg von allen und jedem. Das ist, was ihm vorschwebt, weg von der Welt, in die Einsamkeit. Die einzige Person, die sie täglich sehen, ist Frau Sanders, die Haushälterin, die eine wichtige Bezugsperson für Rebecca darstellt.
Marcus hingegen schottet sich vollkommen von der Welt ab. Er kann nicht verstehen, was passiert ist, mit Chaja, warum sie so plötzlich spurlos verschwand, und er kann es nicht akzeptieren. Die einzige, die ihn aus seiner eigenen Welt holen kann, ist Rebecca. Als sie zur Schule gehen soll, beschließt sie, es nicht zu tun, weswegen Marcus sie zu Hause unterrichtet, und in diesen Jahren bilden die beiden eine unzertrennliche Einheit.
Doch Rebecca entwickelt früh eine starke, unabhängige Persönlichkeit, Künstlerin will sie sein, und das riesige Haus bietet ihr genug Platz, ihre ersten Versuche zu machen. Ebenso wie der große Wald um sie herum ihr große Freiheit und Selbständigkeit bietet, so dass sie früh unabhängig, aber doch immer noch in einer Einheit mit ihrem Vater lebt.
Als Rebecca zur Kunstschule geht, stirbt Marcus‘ Mutter. Diese Frau, die immer so weit von ihm entfernt war und vor Jahren nach Israel ging, wirft eine Menge neuer Fragen auf. Und von hier an fängt Marcus‘ so mühsam in festen Bahnen und Riten gehaltenes Leben zu schwanken…
Marcus Kolpa ist eine Grüblerfigur. Er ist sehr gebildet und intelligent, aber all dies hilft ihm nicht, sein Schicksal zu verstehen. Er wendet sein ganzes erworbenes Weltwissen an, testet es, verwirft es, kommt einen Schritt weiter, geht zwei zurück. Er hat nur einige armselige Puzzlestückchen, aus denen sich beim besten Willen kein Bild erkennen lässt, aber er bemüht sich, ein Bild entstehen zu lassen.
Wie weit er zurückgehen muss und wo er letztlich fündig wird, lässt Marcel Möring den Leser hier miterleben. Auch wir bekommen nur Puzzlestückchen, und da der Roman aus Marcus‘ Perspektive geschrieben ist, sind es eingefärbte Stückchen. Im Wald ist kein Spannungsroman, es ist ein verkopfter Roman. Und das habe ich sehr gemocht. Wir haben einen gebildeten, klugen Mann, zu gebildet, klug und verkopft, als es für ihn gut ist, und wir haben ein Schicksal, das mit allem auf ihn eingedroschen hat, ohne ihm die Vorlagen zu geben.
Seine Routine, die er für seine Tochter entwickelt, und die Fürsorge für sie sind oft das Einzige, das ihn dazu bringt, weiterzumachen. Ich habe ihn gemocht, auch wenn er oft in seinen Routinen erstickt, stillsteht, zaudert… Das Schicksal holt sich letztlich doch, was es haben will, oder?
Marcel Möring hat mich bisher immer begeistern können, mit seiner Klugheit, seiner hervorragenden Sprache, aber vor allem mit der Stimmung, die er immer zu kreieren weiß. Seine Bücher lassen einen ganz tief in seine Welt eintauchen, sie sind nicht actionlastig, aber entwickeln einen Sog, und mir persönlich haben seine Figuren bisher immer gut gelegen. Er gibt Denkanstöße, lässt seine Figuren Weltbilder anprobieren und verwerfen, verzweifeln und hoffen, und der Leser ist gefangen in seinem Bann.
Und ich bin gespannt auf den dritten Teil der Trilogie.
Marcel Möring: Im Wald. Aus dem Niederländischen von Helga van Beuningen. Luchterhand Literaturverlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, 2014. OA: Louteringsberg, De Bezige Bij, Amsterdam 2011.
Ich bedanke mich bei Random House für das Rezensionsexemplar.
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