Buch #3: Annie Proulx – Schiffsmeldungen

Nun, ganz ehrlich: damit habe ich nicht gerechnet. Ich habe eine Romanze erwartet, vor dem Hintergrund einer kanadischen Küste. Und dann kommt dieses Buch daher.

In Schiffsmeldungen geschieht nicht viel, die Geschichte ist schnell erzählt. Sie spielt in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts und handelt von Quoyle, einem Jungen, der groß und breit ist, mit einem riesigen Kinn ausgestattet, das er immer mit einer Hand verdeckt, damit es nicht so auffällt. Von seinem Vater und seinem Bruder wird er immer nur ausgelacht und nicht für voll genommen, weswegen er sich selbst auch nichts zutraut. Er hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser, bis er einen Freund und eine Anstellung bei einer Zeitung findet. Er ist auch hier nur für Belangloses zuständig, trifft aber auf Petal, eine Frau, die ihn will und auch heiratet. Wie sich aber sehr bald herausstellt, ist sie eine Art Nymphomanin und macht Quoyle ebenfalls das Leben zur Hölle.

Doch sie schenkt ihm auch zwei Töchter. Als Petal Quoyle verlassen will und ihre Töchter verkauft, um ihre Reise zu finanzieren, hat sie einen tödlichen Autounfall. Quoyle holt die Mädchen zurück, und eine Tante besucht ihn, um ihn zu unterstützen. Die Familie kommt ursprünglich aus Neufundland, wohin die Tante und Quoyle mit den Mädchen zurückgehen. Hier bauen sie sich ein neues Leben auf, mit echten Freunden, die alle durch die raue Landschaft und das harte Leben an der Küste geprägt sind. Eigentlich sind die Leute dort alles Originale, sie sind komische, traurige, liebenswerte, aufrechte Menschen. Und es gibt eine Frau, Wavey, die ein ähnliches Schicksal erlitten hat wie Quoyle. Langsam, sehr langsam kommen die beiden sich näher.

Dies wird ergänzt durch viele kleine Geschichten und Anekdoten von Fischern, die ertrinken, Häusern, die über das Eis von einer Insel zur nächsten gebracht werden, vom alles bestimmenden Wetter und dem Golfstrom, der dieses bestimmt, von Eis und Hitzewellen, von Menschenschicksalen. Und langsam entwickelt sich das Bild dieser Landschaft und dem täglichen Überlebenskampf in all seinen Facetten.

Es ist überhaupt ein sehr langsames Buch. Zu Anfang konnte ich mich nicht recht anfreunden mit der Sprache der Autorin und den Figuren. Aber wenn die Quoyles nach Neufundland ziehen, ergibt plötzlich alles einen Sinn. Für die Landschaft, das Leben dort und die Menschen kann es keine andere Sprache geben. Eine karge Sprache, in kurzen Sätzen, oft ohne Verb, wird hier beschrieben. Und dadurch entsteht zugleich ein furchterregender und ein Sehnsuchtsort.

Ein kurzer Auszug, einer der ersten Eindrücke, die die Quoyles von ihrer neuen Heimat gewinnen:

„Das Auto rollte über zerklüftetes Land. Gestrüpp. Rissige Klippen unter vulkanischen Lasuren. Auf einem Vorsprung über dem Meer legte ein Seetaucher sein einzelnes Ei. Die Häfen noch vereist. Grabsteinhäuser, die auf rauhem Granit emporragten, die Küste schwarz, glitzernd wie Brocken aus Silbererz.“ (47)

Nach den anfänglichen Schwierigkeiten mit dem Roman muss ich sagen, dass er mir doch gefallen hat. Die Stimmung, die kreiert wird, fängt einen ein und langsam entwickelt sich diese einsame, harte Landschaft mit dem von hartem Leben geprägten Menschen zu einer Art Ort, der doch Geborgenheit vermittelt. Der mit seinen Menschen, die nur zusammen überleben können, die Sehnsucht nach einer solchen Gemeinschaft weckt. Die Geschichten zu erzählen haben, tausende Geschichten, über das Meer, das Land, die Leute. Man möchte sich dort in eine heimelige Küche setzen und bei einer heißen Tasse Tee diesen Geschichten lauschen. Dies ist kein Buch für den Sommer, man muss es lesen, wenn die Bäume kahl sind, es regnet und der Wind bläst. Dann kann es seine volle Anziehungskraft ausüben.