Buch #10: Marguerite Duras – Der Liebhaber

Vielleicht liegt es daran, dass man in dieser Pornogesellschaft heutzutage mit Sex überhäuft wird, vielleicht liegt es auch daran, dass ich ein hoffnungslos unromantischer Mensch bin. Fest steht jedenfalls, dass Der Liebhaber mich vollkommen kalt gelassen hat.

Angepriesen mit „Ein Buch verführt seine Leser“ (Marcel Reich-Ranicki) und „Eine souverän geschriebene love story“ (Joachim Kaiser) wird meiner Meinung nach ein vollkommen falsches Bild dieses Buches vermittelt. Denn es handelt sich nicht um eine Lovestory, und verführerisch ist es auch nicht.

617nm9EnILLEin junges Mädchen, dessen verrückte Mutter in den 30er Jahren Lehrerin in Indochina, dem heutigen Vietnam, ist, befindet sich auf einer Fähre auf dem Weg zum Internat. Dort erblickt sie ihn: einen chinesischen Mann, und weiß sofort, dass ihre Unschuld nun Geschichte sein wird.

Die Familie des Mädchens ist arm, der ältere Bruder ein sadistischer Kontrollfreak und Spieler, die Mutter wie gesagt verrückt, der jüngere Bruder vielleicht behindert. Und das fünfzehneinhalb Jahre alte Mädchen beschließt, mit dem Chinesen zu gehen. Sie erlebt ihre erste Liebesnacht voller Extase, und da der Chinese aus einer guten Familie kommt, die eine offizielle Beziehung unmöglich macht, wird sie seine Geliebte.

Er hält sie aus, lädt auch ihre Familie zu opulenten Essen ein, und holt sie jeden Tag von der Schule ab, um die Nacht mit ihr im Bett zu verbringen. Irgendwann jedoch stellt der Vater des Chinesen diesen vor die Wahl und die Beziehung muss beendet werden, das Mädchen wird nach Frankreich geschickt.

Das Buch ist etwas undurchsichtig, da es aus lose aneinander gereihten Gedanken besteht, die verschiedene Zeitlinien umfassen, aber irgendwann wird der jüngere Bruder sterben, der ältere wird Zeit ihres Lebens der Mutter auf der Tasche liegen, und nach deren Tod alles fürs Spiel verkaufen, bis er irgendwann auch stirbt, verarmt und allein.

Nun zu dem Aspekt der Liebesgeschichte. Der Chinese ist zwölf Jahre älter als das Mädchen, das er auf der Fähre sieht und mit nach Hause nimmt. Es heißt, er liebe sie so sehr, und er könne nicht ohne sie leben. Ganz klar wird allerdings nicht, ob wirklich sie gemeint ist, oder ihr junger Körper. Zwischenzeitlich nennt er sie „sein Kind“, er nimmt sie wie „sein Kind“, also würde ich doch eher auf eine etwas gestörte Beziehung tippen, die nichts mit wahrer Liebe zu tun hat.

Das Mädchen ist ebenso verrückt nach ihm, aber von vornherein wird klargestellt, dass es doch eher der körperliche Aspekt ist, und sein Geld, das sie anzieht. Man weiß, er wird nur einer von vielen sein. Also auch hier: vielleicht eine Verbundenheit, eine gut funktionierende Zweckgemeinschaft – aber Liebe? Ich denke nicht.

„Ich sah zu, was er aus mir machte, wie er sich meiner bediente, und ich hatte nie gedacht, daß man es in dieser Weise machen könnte, es übertraf meine Erwartung und entsprach der Bestimmung meines Körpers. So war ich zu seinem Kind geworden. Er war auch für mich zu etwas anderem geworden. (…)

Ich war zu seinem Kind geworden. Dieses Kind liebte er Abend für Abend. Und manchmal packt ihn die Angst, plötzlich ist er besorgt um ihre Gesundheit, als entdecke er, daß sie sterblich sei, als durchfahre ihn der Gedanke, daß er sie verlieren könnte. Besorgt plötzlich, daß sie so winzig ist, und es packt ihn mitunter die Angst, jählings. Und auch besorgt über diesen Kopfschmerz, der sie oft so elend macht, fahl, unbeweglich, eine feuchte Binde auf den Augen. Und diesen Ekel, den sie manchmal gegenüber dem Leben verspürt, wenn es über sie kommt, wenn sie an ihre Mutter denkt und jäh aufschreit und weint vor Zorn bei dem Gedanken, die Dinge nicht ändern, die Mutter nicht glücklich machen zu können, bevor sie stirbt, die nicht töten zu können, die dieses Unheil verschuldet haben. Sein Gesicht an das ihre gedrückt, nimmt er ihre Tränen auf, er preßt sie an sich, wahnsinnig vor Begierde nach ihren Tränen, ihrem Zorn.“

(Marguerite Duras: Der Liebhaber, S. 166-168)

Es soll sich um einen autobiographischen Roman handeln. Nun gut. Ich kann mich allerdings wirklich nicht der Begeisterung anschließen, für mich war es doch eher das Buch über eine sexuelle Zweckgemeinschaft, die mit Liebe nicht viel gemein hat. Das arme Mädchen, das eine verrückte Familie hat, schließt sich um ein wenig Stabilität und Komfort halber einem Mann an, der ihren ach so jungen Körper vergöttert. Das mag man sehen, wie man möchte, ich fand es eher abstoßend. Dazu kommt der Schreibstil, der zwar ein wenig vom Flair der Zeit und Gegend vermittelt, sonst aber doch eher verwirrend ist.

Ich empfehle dieses Buch nicht; wenn man sich schon die Zeit zum Lesen nimmt, gibt es wahrhaftig bessere und interessantere Lektüren. Falls es aber nun doch jemanden reizt, es ist mit knappt zweihundert groß geschriebenen Seiten schnell gelesen.