Margaret Atwood – Die Zeuginnen

Nun ist sie also da, die langerwartete Fortsetzung von Der Report der Magd. Oder eigentlich ist es ja die zweite Fortsetzung – ist die erste Staffel von „The Handmaid’s Tale“ noch eng an den Roman gebunden, führen die beiden nächsten die Story fort, ebenso, wie dies Die Zeuginnen tut.

Man kann jetzt natürlich sagen, dass Der Report der Magd so gut war, dass man diesen Roman so stehen lassen sollte, als ein in sich abgeschlossenes Meisterwerk, dass alles, was man dazu dichtet, überflüssig sei und unerwünscht. Oder man kann den ersten Roman als Basis ansehen, einen Entwurf einer Welt, und weitere Details hinzufügen, andere Stimmen zu Wort kommen, Hintergründe entstehen lassen und unterschiedliche Seiten beleuchten.

Denn, wenn man sich darauf einlässt, bekommt man durch die Serie und nun auch den Folgeroman neben der doch ziemlich schwarz-und-roten, oder eher schwarzen Handlung des ersten Romans neue Schattierungen. Zugegeben, sie sind außer schwarz und rot nicht vielfarbig, sie sind grün und blau, manchmal rosa, sehr oft grau. Aber für mich ist sowohl mit der Serie als auch mit dem zweiten Roman eine stimmige Fortführung dieser Welt entstanden, die – natürlich – nicht perfekt ist, aber doch viele gute Ansätze und Details verarbeitet hat.

Die Handlung von Die Zeuginnen setzt 15 Jahre nach den Ereignissen aus Der Report der Magd an. Ich bin mir nicht sicher, inwiefern Margaret Atwood die Geschehnisse der Serie berücksichtigt hat, zumal ja auch noch eine vierte Staffel kommen soll. Aber ich denke, man kann alles vereinen.

Die Zeuginnen sind nun drei Frauen, die Zeugnis ablegen über die Ereignisse aus Gilead. Von diesen drei Frauen gibt es einmal ein schriftliches Zeugnis, einen Bericht, der offensichtlich von der Gebildetesten der drei verfasst wurde und die Ereignisse von den Anfängen Gileads bis „heute“ thematisiert. Die anderen beiden Zeugnisse sind mündliche Protokolle, Zeugenaussage 369A und Zeugenaussage 369B. Eine dieser Aussagen stammt von einer Frau, die in Gilead aufgewachsen ist, die andere von einer Frau, die in Kanada groß wurde.

Hier kommt jetzt die Verbindung zur Serie ins Spiel, diejenigen, die sie gesehen haben, werden nicht viel Mühe aufwenden müssen herauszufinden, wer die drei Frauen sind. Ich werde dies an dieser Stelle nicht schreiben. Was ich schreiben werde, ist, dass durch diese drei Sichtweisen viele Hintergründe hinzukommen. Einmal, wie es dazu kam, dass Gilead entstehen konnte und wie die Tanten so viel Macht bekommen und halten konnten. Die für mich interessanteste Perspektive war diejenige der in Gilead aufgewachsenen Frau, deren ganzes Weltbild auf den Lehren dieses „Gottesstaates“ beruht und die, obwohl so viel dagegen unternommen wurde, doch selbstständig denken kann. Die dritte Perspektive, diejenige aus Kanada, ist eine, die nicht so schwierig nachvollziehbar ist, leben wir sie doch alle: „Sieh mal, was für Zustände in diesem Land herrschen, fürchterlich, die Armen“ usw.

Die Zeuginnen ist mit Sicherheit nicht Margaret Atwoods stärkster Roman, er rangiert noch nicht mal unter den Top 5, denke ich, aber für mich ist er dennoch wichtig und gelungen. Der Report der Magd war seit dem ersten Lesen, da war ich Anfang 20, Teil von mir, oft habe ich über diese Welt, die Atwood da erschaffen hat, nachgedacht und Dinge wiederentdeckt, die in der Weltgeschichte geschahen und geschehen. Trump hat ohne Zweifel vieles wieder hervorgeholt, manchmal meint(e) man, er benutze den Roman als Vorlage. Die in diesem Zuge entstandene Serie, die der Geschichte mehr Hintergrund gegeben hat, auch und vor allem auch durch die Perspektive von der anderen Seite, die der Ehefrauen, und der Roman, der die der Tanten und Töchter Gileads mitbringt, sind für mich eine absolut gelungene Ergänzung. Ich kann aber auch die Stimmen verstehen, die den ersten Roman so für sich stehen lassen wollen.

Eine weitere  Besprechung findet Ihr bei Nettebuecherkiste.

Margaret Atwood: Die Zeuginnen. Deutsch von Monika Baark. Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH 2019. OA: The Testaments. PenguinRandom House Toronto/New York/London 2019. 573 Seiten.

Esi Edugyan – Washington Black

„Ich war vielleicht zehn, elf Jahre alt – genau kann ich das nicht sagen -, als mein erster Master starb.“

So beginnt Esi Edugyans Roman „Washington Black“, und in diesem Satz ist schon so vieles angelegt. Washington wurde von seinem ersten Master auf den Namen George Washington Black getauft, er wird aber von allen Wash genannt. Er weiß nicht, wer seine Eltern sind, großgezogen wird er von Big Kit, die sich seiner annimmt.

Als sein erster Master stirbt, bekommt er einen neuen Master, Erasmus Wilde, ein brutaler, rücksichtsloser Mann, der die Sklaven erst einmal gefügig macht, indem er eventuellen Fluchtversuchen auf äußerst brutale Weise entgegenwirkt. Und so träumen sich Big Kit und Wash nach Dahomey, wo Big Kit herstammt, bevor sie gefangen genommen und nach Barbados verschafft wurde. Es soll immer Washs Fluchtpunkt bleiben.

Erasmus Wilde ist in Begleitung seines Bruders Christopher, der sein genaues Gegenteil ist. Er ist Gelehrter, wie ihr Vater, und dabei, ein Luftschiff zu bauen (das eindrucksvoll gezeichnet auf dem Cover abgebildet ist). Dieser sieht Washington und bittet seinen Bruder, ihn in seine Obhut zu geben. Und so ändert sich Washingtons Leben von einem Tag auf den anderen: von der harten Arbeit auf den Feldern, aus der Obhut von Big Kit gerissen, wird er Christopher Wildes Assistent.

Er lernt lesen und schreiben, streift den ganzen Tag mit ihm über die Insel und fängt an, Zeichnungen von den Dingen zu machen, die Christopher interessieren, von Pflanzen und Tieren, wofür er ein echtes Talent besitzt. So steigt er in seiner Achtung, und langsam wird die Beziehung mehr zu einer Freundschaft als die von Master und Sklave.

Dann bekommen sie Besuch von einem Cousin der Wildes, den ein dunkles Geheimnis zu umgeben scheint. Washington ist immer auf der Hut, und als es so weit ist, dass sie die ersten Experimente mit dem Luftschiff machen können, geschieht eine Katastrophe. Doch diese ist nicht die einzige für Washington, so dass er und Christopher schließlich mit dem Luftschiff fliehen müssen. Eine abenteuerliche Reise beginnt.

Sie sehen viele interessante Dinge, lernen spannende Menschen kennen, immer auf der Flucht, bis Christopher Washington schließlich verlässt und der seinen eigenen Weg finden muss.

Esi Edugyan hat eine Mischung aus einer Coming-of-Age-Geschichte und einem Abenteuerroman geschrieben, die mitreißend und spannend ist. Sie verwendet eine wundervolle Sprache, und auch die brutalen Szenen bleiben immer erträglich, dennoch eindringlich. Sie nimmt uns mit in eine Zeit, in der Menschen Besitz sind, die aber auch geprägt ist vom raschen Wandel in der Wissenschaft, und schafft es immer, auf diesem Grat zu balancieren.

Sie hat mit ihren Figuren, allen voran natürlich Washington, glaubhafte Charaktere geschaffen, wobei dieser im Laufe der Geschichte vielleicht eine Wende zuviel, einen Schicksalsschlag, dessen es nicht bedurft hätte, aufgebrummt bekommt. So zieht sich die Geschichte gen Ende ein wenig hin. Dennoch gelingt ihr ein glaubhafter, eindrücklicher Abschluss, so dass der Roman mir sehr positiv im Gedächtnis bleiben wird.

Dies, zusammen mit der schönen Sprache und den wundervollen Bildern, die Edugyan verwendet, machen diesen Roman zu einem Schmöker, den ich jedem empfehlen kann. Sie baut viele Details ein, die aber immer nachvollziehbar sind und so ein Panorama einer Zeit bilden, in der ich mich nicht so gut auskenne und nun froh bin, ein wenig mehr darüber zu wissen.

Eine weitere Rezension könnt Ihr hier bei der großartigen Bingereaderin finden.

Ich danke dem Eichborn Verlag für das Rezensionsexemplar. Der Umstand, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat meine Meinung in keiner Weise beeinflusst.

Esi Edugyan: Washington Black. Aus dem kanadischen Englisch von Annabelle Assaf. Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG Köln, 2019. 509 Seiten.

Buch #72: Margaret Atwood – alias Grace

„Manchmal flüstere ich es nachts vor mich hin: Mörderin, Mörderin. Es ist wie ein Dreiklang.

Mörder ist nur brutal. Mörder ist wie ein Hammer, oder wie ein Stück Metall. Ich bin lieber eine Mörderin als ein Mörder, wenn die beiden die einzige Wahl sind.“ (S. 35)

Die Geschichte um Grace Marks war eine der populärsten im Kanada des 19. Jahrhunderts. Sie war des Mordes an Nancy Montgomery und Mr. Thomas Kinnear verurteilt. Ihr Mittäter, James McDermott, wurde gehängt, sie selbst bekam lebenslänglich. Der Fall erhitzte die Gemüter, da es so viele Skandale darum gab. Die Zeitungen berauschten sich an ihr, Berichte wurden über sie geschrieben; aber, damals wie heute, wusste man nie, wie weit man sich darauf verlassen konnte. Und so blieb ihre Täterschaft ein Mysterium.

Der Fall machte auch Dr. Simon Jordan neugierig, der sich mit Geisteskrankheiten beschäftigt und feststellen möchte, ob, und falls ja, welche Geisteskrankheit bei Grace vorliegt. Grace „darf“ nach 15 Jahren guter Führung im Haus des Gefängnisdirektors arbeiten, und so wird arrangiert, dass Dr. Jordan sie dort bei der Arbeit befragen darf. Die Handlung verläuft also über zwei Ebenen, die eine befasst sich mit den Umständen zur Zeit der Befragung, die andere ist Grace‘ Geschichte, die sie Dr. Jordan in ihren Sitzungen erzählt.

Es läuft eine Petition, die Grace auf freiem Fuß sehen will, und Dr. Jordan soll dazu beitragen. Dieser jedoch hat ein anderes Motiv, er will einen berühmten Fall von Geisteskrankheit, um sich einen Namen zu machen und sein eigenes Institut zu eröffnen. Grace hingegen will Abwechslung, will aus der Kargheit des Gefängnisses entfliehen, und so entspinnt sich eine Art Katz-und-Maus-Spiel, in dem Grace nach und nach ihre Geschichte erzählt, aber immer genug zurückhält, so dass Dr. Jordan zurückkommen muss, fast wie eine Sheherazade.

Darüber hinaus entfaltet Atwood ein Panorama des Kanada des 19. Jahrhunderts. Sie beschreibt die Gesellschaft und wie sie funktioniert, sie beschreibt Land und Leute und was sie bewegte. Es ist auch eine upstairs-downstairs-story, war Grace doch ein Dienstmädchen, dem nicht viel Intelligenz nachgesagt wurde, das aber genau zu beurteilen weiß, wie die Gesellschaft und ihre Herrschaft funktioniert. Sie kriegt die volle Wucht des Systems zu spüren, das für ungebildete Dienstleute nicht viel übrig hat – außer der Sensation, die sich in ihrer Geschichte verbirgt.

alias Grace ist gut zu lesen, aber dennoch kein einfacher Roman. Man liest über Armut, über das Leben in der Gosse, über Ungerechtigkeit und Vorurteile und Verurteilungen, über Schicksale, die nur in einer Konsequenz münden können und die Hilflosigkeit, nichts daran ändern zu können. Ist Grace wirklich eine kaltblütige Mörderin? Oder ist sie ein Opfer der Umstände?

Man liest aber auch einen überaus spannenden Roman, dessen Spannung durch die Erzählweise stark erhöht wird. Wie Dr. Jordan bekommt der Leser nur Stückchen für Stückchen Grace‘ Geschichte serviert, und die äußeren Umstände, in denen die Begegnungen geschehen, lassen oft genug fürchten, dass man das Ende nicht erfährt. Die Frage, ob Grace schuldig ist, hängt von vielen Faktoren ab, die sich nur nach und nach zeigen. Ob sie schuldig ist? Das empfehle ich, selbst herauszufinden.

Denn dieser Roman ist einmal mehr ein Beweis für Margaret Atwoods Erzählkunst, sie kann nicht nur Zukunft, sie kann auch Vergangenheit. Darüber hinaus bindet Atwood Ausschnitte aus den damaligen Zeitungen, aus den Reports über Grace und aus der Rezeption ihrer Geschichte, z.B. in Gedichten Emily Dickinsons, mit ein, was dem Werk eine zusätzliche Perspektive und auch Faszination verleiht. Also, wieder einmal kann ich ein Werk Atwoods nur empfehlen und wünsche viel Vergnügen bei der Lektüre!

Margaret Atwood: alias Grace. Deutsch von Brigitte Walitzek. btb, 1996. OA: alias Grace. McClelland & Steward Inc., Toronto, 1996. 637 Seiten.

Buch #68: Margaret Atwood – Der Report der Magd

„Glaube ist nur ein Wort, gestickt.“ (389)

„Aber ringsum an den Wänden stehen Bücherregale. Sie sind voller Bücher, Bücher, Bücher, offen sichtbar, keine Schlösser, keine Schränke. Kein Wunder, dass wir hier nicht hereindürfen. Es ist eine Oase des Verbotenen. Ich versuche, nicht hinzustarren.“ (186)

Der Report der Magd – The Handmaid’s Tale – der deutsche Titel ist hier ausnahmsweise der Bessere, weil Angebrachtere. Ein Report ist es, den Desfred uns gibt, ein Report über das Leben in einem Regime, das im späten 20. Jahrhundert in den USA entstand. Viele Faktoren spielten hinein, die Umwelt, die Umweltkatastrophen, die Religionskonflikte, AIDS, der Feminismus.

Nun ist die Welt sehr einfach. Es gibt Männer. Und es gibt drei relevante Kategorien an Frauen. Da sind die „Marthas“, die eine recht gute Stellung als Haushaltshilfe haben. Sie haben keine Rechte, sind aber vor Verfolgung mehr oder weniger sicher. Sie sind im Großen Ganzen irrelevant, nur dazu da, den Handlanger zu geben. Sie tragen grün.

Dann gibt es die Ehefrau. Die höchste Stellung, die eine Frau innehaben kann. Ehefrau. Mutter. Vorstehende des Haushalts. Repräsentation des Haushalts. Die wichtigste Position, die eine Frau haben kann. Die Wichtigste. Sie tragen blau.

Und dann gibt es die Mägde. Sie dienen als Gefäße. Falls ein hochrangiges Ehepaar nicht in der Lage ist, Kinder zu bekommen, dient die Magd als Gebärmutter. Sie trägt rot. Desfred trägt rot.

Desfred lebt als Magd bei dem „Kommandanten“, Fred, und seiner Frau Serena Joy. Sie sind kinderlos, und Desfred soll ihnen helfen. Sie wird gut ernährt und lebt wohlbehütet. Sie hat lange, verhüllende Kleider und eine Haube, die sie hindert, angesehen zu werden. Und außer einem Tunnelblick nichts zulässt. Sie darf keine persönlichen Gegenstände haben. Sie darf das Fenster nicht weiter als einen Spalt öffnen, das Glas ist bruchsicher. Sie darf nicht sprechen, außer die Floskeln, die man sie lehrte. Fromme Sprüche. Und sie darf einmal im Monat das Ritual mit dem Kommandanten vollziehen, im Schoß seiner Frau liegend, in der Hoffnung, für sie empfangen zu können.

Desfred erzählt ihre Geschichte, von ihrem jetzigen Leben, das in völliger Isolation und Abschottung von der ganzen Welt vor sich geht. Informationen zu bekommen, ist fast unmöglich. Interesse an etwas zu zeigen, kann tödlich sein. Wissen zu haben, kann zur Exekution führen.

Aber das System ist nicht vollkommen. Und Desfred gehört zur ersten Generation Frauen, die zu dieser Lebensweise gezwungen werden. Sie erinnert sich daran, wie es vorher war, als Frauen Rechte hatten, Freiheiten, Bildung, Individualität. Und sie erinnert sich daran, wie ihr alles genommen wurde. Und warum sie sich nun in ihre Rolle fügt.

Margaret Atwoods Roman aus dem Jahre 1985 ist damals ihr Durchbruch gewesen. Diese finstere Dystopie hat beim ersten Mal, als ich sie vor vielen Jahren las, so vieles bei mir ausgelöst: Ich habe eine ungeheure Faszination für Dystopien entwickelt, Margaret Atwood ist meine verehrteste Schriftstellerin, und der Anteil meiner Lektüre von Frauen liegt bei ca. 33 Prozent. All dies hat sich nun beim Wiederlesen bestätigt.

Der Report der Magd ist ein ungeheuer intensiver Roman, der perfekt kalkuliert ist. Passt man die Gegebenheiten von vor 30 Jahren an die heutigen an, ist er, gerade mit Sicht auf das letzte Jahr, wieder erschreckend aktuell. Und erschreckend ist genau das Adjektiv, das ich meine. Er nimmt einem den Atem, lässt Seite um Seite verfliegen auf der Suche nach einer Lösung, nach einem Ausweg aus dieser Situation, aus der es keinen Ausweg gibt.

Der Gedanke, dass man diese – eigentlich als Abschreckung zu verstehende – Geschichte als Handbuch nehmen könnte, hat sich mir wieder tief ins Hirn gegraben und mir einen Schlag in die Magengrube verpasst. Es darf nicht sein. Für viele Frauen ist es aber so, an so vielen Orten auf der Welt, täglich, ohne Ausweg. Man sollte dies immer vor Augen haben, immer daran denken, und dieser Roman ist eine Anmahnung all dessen.

Wie ich immer wieder zu meinem Erstaunen vernehme oder lese, gibt es anscheinend einige Menschen, die sich schwer tun mit von Frauen verfasster Lektüre. Ich kann mir beim besten Willen keinen Grund dafür vorstellen, doch scheint es so zu sein. Denjenigen möchte ich eines raten: Wenn Sie nur einen Roman, der von einer Frau geschrieben wurde, ausprobieren möchten, nehmen Sie diesen.

Denn es handelt sich auch schlicht um eine äußerst spannende Geschichte. Wie die jetzige Situation mit der damaligen und der Entwicklung zusammengebracht wird, wie stückchenweise die Welt aufgebaut und ineinander verkeilt wird, wie Desfred sich der Umstände nicht erwehren und von den Ereignissen mitgerissen wird, das ergibt einen Pageturner.

Ich weiß, das alles ist eine Menge Lobhudelei, aber ich bin diesem Roman verfallen, seit vielen Jahren schon. Er wird wohl die neue Spitzenposition in meiner Rangliste einnehmen, und mich auf jeden Fall für den Rest meines Lebens begleiten.

Ich habe den Roman ausgerechnet jetzt wiedergelesen, da ich ihn bei der Bingereaderin gewonnen habe (danke nochmal!), die ähnlich begeistert war, und weil er mit Elizabeth Moss und Joseph Fiennes als Serie verfilmt wurde, die am 26. April 2017 in den USA Premiere hat. Ich kann es kaum abwarten, jetzt noch weniger.

Margaret Atwood: Der Report der Magd. Aus dem kanadischen Englisch von Helga Pfetsch. Neuauflage im Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2017. OA: The Handmaid’s Tale. MCClelland & Stewart, Houghton Mifflin, 1985; Cape 1985. 412 Seiten.

Margaret Atwood – The Heart Goes Last

You are only half a prisoner. Foto:mg

„It begins with videos of the town of Consilience, with happy people at work in it, doing ordinary jobs: butcher, baker, plumber, scooter repair, and so on. Then there are videos of the Positron Prison inside Consilience, with happy people at work in it as well, each one of them wearing an orange boiler suit. Stan only half watches: he already knows they’re going to sign the commitment papers tomorrow, because Charmaine has her heart set on it.“ (S. 34)

 

Charmaine und Stan sind ein verheiratetes Paar, das nach einem ökonomischen und sozialen Kollaps alles verloren hat und nun in ihrem Auto lebt. Ständig besteht die Gefahr, überfallen zu werden, niemand weiß, worin die nächste Mahlzeit bestehen soll, und ob es sich lohnt, ihre Ecke des Landes zu verlassen in der Hoffnung, anderswo Arbeit zu finden.

Dann sehen sie eines Tages eine Fernsehwerbung: Es gibt ein neues Projekt, das Positron Project. Dieses Projekt sieht vor, dass alle, die sich bereit erklären, in der Stadt Consilience zu leben, sich auch dazu bereit erklären, im Positron Prison zu leben. Jedes Paar hat ein Gegenstück, das einen Monat in einem schönen Einfamilienhaus mit allem, was gebraucht wird, lebt, und einen Monat im Gefängnis, stets im Wechsel. Jeder hat zwei Jobs, einen drinnen, einen draußen. Die Paare kennen sich gegenseitig nicht, da sie sich an den Wechseltagen nicht sehen. So soll null Arbeitslosigkeit bei voller Ausschöpfung der Effizienz der Arbeitskraft erreicht werden. Jeder hat einen bzw. zwei Jobs, jeder wird optimal versorgt, auch im Gefängnis gibt es Gourmet-Mahlzeiten, alle sind zufrieden, alle sind glücklich.

Der Preis, der dafür zu bezahlen ist: 1. man lebt jeden zweiten Monat im Gefängnis. 2. man gibt den Kontakt zur Außenwelt auf. 3. man lebt in einer Art Pleasantville, es gibt nur seichte Popmusik, die Filme sind nach ihrer Gewaltfreiheit ausgewählt, alles ist pastellfarben und es gibt nie schlechte Nachrichten.

Charmaine hatte eine schlechte Kindheit, sie fühlt sich erst sicher, seit sie Stan geheiratet hat. Doch diese Sicherheit ist ihr bei dem Kollaps mit allem, was sie hatte, genommen worden. Deshalb sieht sie das Positron Project als ein Geschenk des Himmels. Stan, der sie wieder glücklich sehen will, willigt ein. Es dauert eine Zeit, bis beide sich an das neue Leben gewöhnt haben, aber bis auf ein wenig Langeweile scheint alles gut zu laufen.

Bis Charmaine eines Tages am Wechseltag länger im Haus ist, um alles tadellos aufgeräumt und sauber zu hinterlassen, und von ihrem männlichen Pendant, Max, überrascht wird. Ein Blick reicht, und die beiden beginnen eine Affäre. Charmaine hat diese Leidenschaft nie gekannt, und sie wägt sich in Sicherheit. Bis sie eines Tages am Wechseltag im Positron Prison zurückgehalten wird.

 

„Then he’s unconscious. Then he stops breathing. The heart goes last.“ (S.70)

 

Was sie nicht weiß, ist, dass Max‘ Frau, Jocelyn, im Überwachungsdienst tätig ist und von der Affäre weiß. Sie wiederum hält Stan zurück und zwingt ihn, es ihren Partnern heimzuzahlen. Stan wiederum weiß nicht, dass Jocelyn einen Plan hat. Denn hinter den Gefängnismauern geschieht mehr als Essen und Arbeiten. Zum Beispiel weiß niemand etwas von Charmaines Job mit der Giftspritze. Und niemand weiß, wozu das ganze Projekt wirklich dient. Niemand außer Jocelyn, die eine Reihe von Dominosteinen aufbaut und umstößt, in der Hoffnung, dass die Steinchen alle schön brav hintereinander an ihren Platz fallen. Doch es geht nicht um Steinchen, es geht um ihrer aller Leben. Werden die Steinchen wohl fallen?

Margaret Atwood hat mit The Heart Goes Last erneut eine Dystopie verfasst. In einer nicht allzu fernen Zukunft ist unser Gesellschaftsmodell zusammengebrochen und andere Varianten werden ausprobiert. Was sich nicht geändert hat, ist der Mensch. Und wiederum wirft sie Menschen in eine andere Lebensrealität und lässt sie versuchen, sich zurechtzufinden, und wieder einmal nimmt man ihr das Setting ab.

Diesmal hat sie jedoch keine Identifikationsfiguren geschaffen. Alle Figuren kreisen nur um sich selbst, suchen Sicherheit, sind bereit, dafür -fast?- alles aufzugeben. Sie flüchten sich in eine Traumwelt, in die heile Welt der Vergangenheit, wo alles harmonisch ist und blenden die Welt außerhalb der Stadtmauern aus. Selbst im Gefängnis ist es schön, das Essen ist gut, man strickt, man kümmert sich um Hühner, alles Friede, Freude, Eierkuchen.

Doch Margaret Atwood wäre nicht sie selbst, wenn sie nicht den Finger in die Wunde legen würde. So schön alles ist, zeigen sich doch bald erste Risse in der heilen Fassade. Charmaine schafft es lange, sich die Affäre und ihren Job schön zu reden, aber als sie die Konsequenzen tragen muss, ist sie heillos überfordert. Ebenso Stan. Und beiden ist eine weitaus größere Rolle zugedacht, und am Ende müssen beide schwerwiegende Entscheidungen treffen.

Auch ohne Identifikationsfiguren und mit diesem nicht ganz nachvollziehbaren Setting – warum diese Gefängnissache? – hat The Heart Goes Last letztlich überzeugt. Es ist ein Gedankenspiel über Selbstverantwortung, und Atwoods Figuren kämpfen damit wie wohl jeder Mensch. Letztlich kommt man nicht umhin, Entscheidungen zu treffen und für sie gerade zu stehen.

Atwood überraschte auch mit dem Ende, das ich so nicht kommen sah. Und es waren tatsächlich die letzten beiden Sätze ihres Nachworts bzw. ihrer Danksagung, die dem Roman den letzten Schliff gaben. Wer wissen will, wie das sein kann, sollte sich mit Margaret Atwood auf das Gedankenspiel einlassen. Mir hat die MadAddam-Trilogie zwar besser gefallen, aber es war wie immer die Reise wert!

Margaret Atwood: The Heart Goes Last. Nan A. Talese/Doubleday, New York. 2015. 308 Seiten.

Ich konnte noch keine Informationen zu einer Übersetzung finden.

Eine weitere tolle Besprechung gibt es bei Binge Reading & More.

Mehr Gedankenspiele von Margaret Atwood gibt es hier:

Der blinde Mörder

Oryx und Crake

Das Jahr der Flut

Die Geschichte von Zeb

Margaret Atwood – Die Geschichte von Zeb

Dritter Teil der MaddAddam-Trilogie

Im dritten Teil wendet sich Margaret Atwood sowohl einem Teil der Vorgeschichte als auch den Auswirkungen der „Großen Flut“ zu. Die Vorgeschichte ist die Geschichte von Zeb, sie erzählt von seiner Kindheit und wie es kam, dass er Teil der MadAddamiten-Gruppe ist. Die andere Geschichte ist die des weiteren Überlebenskampfs der restlichen Verbliebenen.

zebEinige der übriggebliebenen Menschen haben sich eine Zuflucht aufgebaut. Dort kämpfen sie ums tägliche Überleben, was ein wenig vereinfacht wird durch die Erfahrungen, die die ehemaligen Gottesgärtner mitbringen. So ist das Leben zwar schwer, aber zu bewältigen. Auch die Craker sind bei ihnen, sie sind besorgt um Schneemensch-Jimmy, der schwerverletzt ist und sowohl von Toby als auch von den Crakern gepflegt wird.

Feinde sind die allgegenwärtigen Organschweine, die den Garten verwüsten und bei Gelegenheit auch Menschen angreifen und essen. Und dann sind da noch die ehemaligen Painballer, die jedes menschliche Attribut verloren haben und nur auf Rache und Zerstörung aus sind.

Da Schneemensch-Jimmy verletzt ist, übernimmt Toby die Aufgabe, den Crakern von Crake und Oryx zu erzählen, und auch von der Welt im Allgemeinen. Sie verstehen oft nicht, was Toby meint, vor allem, wenn von Gewalt, Hass und Tod die Rede ist. Doch mit der Zeit nehmen sie Toby als Quelle des Wissens an. Und so wird Zebs Geschichte erzählt, zuerst von Zeb an Toby, die seine „Gefährtin“ wird, und dann von Toby an die Craker, die Zeb nun ebenfalls als eine Art von Prophet und Beschützer ansehen, dies nicht zuletzt, weil er der Bruder von Adam ist, dem Gründer der Gottesgärtner.

In diesen Erzählungen kommt eine Welt zum Vorschein, die praktisch nur noch den Kampf jedes Einzelnen für sich kennt. Geld und Überleben, das sind die Werte, die zählen. Einmal mehr wird offensichtlich, was Crake getrieben haben mag. Äußerst großartig ist Atwoods Coup, Adams und Zebs Vater als „Hochwürden“ darzustellen, das Oberhaupt der Kirche „Church of PetrOleum“, einer Sekte, die dem Öl huldigt.

„Sie dankten dem Allmächtigen, dass er die Welt mit CO2-Ausstößen und Giftstoffen gesegnet hatte, richteten den Blick gen Himmel, als wenn das Benzin von oben käme, und sahen dabei höllisch gottgefällig aus. […] Hochwürden hatte sich eine Theologie zurechtgezimmert, um möglichst effektiv die Kohle einzustreichen. Natürlich hatte er das Ganze auf der Bibel gegründet. Matthäus 16,18: ‚Du bist Petrus, und auf diesem Felsen will ich bauen meine Gemeinde.‘ […] Es ist keine höhere Mathematik, hat Hochwürden immer gesagt, dahinterzukommen, dass Petrus das lateinische Wort für Stein ist und dass ich die wirkliche und wahre Bedeutung von ‚Peter‘ auf ‚Petroleum‘ bezieht oder dass Öl aus dem Stein kommt.'“ (146/147)

Man könnte sich totlachen, würde einem dieses Lachen nicht im Halse steckenbleiben angesichts Hochwürdens Erfolg. Und dies ist nur ein Beispiel für die Welt, wie sie nun ist. Und all diese Beispiele, so grotesk sie auf den ersten Blick scheinen, wirken beim zweiten Blick nicht mehr so abwegig, was die Lektüre oft sehr beklemmend macht.

Doch so hart das Leben nun, nach der großen Flut auch ist, es gibt doch auch Positives. Die Menschen sind gewungen, sich zu arrangieren. Zum einen mit den Crakern, was trotz der Verständnisschwierigkeiten recht gut gelingt, vor allem durch Einfühlung, vor allem von Toby. Einer der Craker, Blackbeard, ein kleiner Junge, hat besondere Zuneigung zu ihr gefasst, und vermittelt viel Vertändnis zwischen den beiden Gruppen.

Doch da sind immer noch die Painballer, die permanent wie eine zusätzliche Bedrohung über ihren Köpfen schwebt. Hier bekommen sie Hilfe von unerwarteter Seite: die Organschweine, mit denen unter anderem Hirnmasse für Menschen gezüchtet wurde und die deshalb ziemlich intelligent sind, bitten die Menschen um Hilfe, denn auch ihnen haben die Painballer zugesetzt. Und so kommt es zu einer außergewöhnlichen Allianz, auch hier unter Vermittlung der Craker.

Ich weiß gar nicht so recht, wie anfangen soll, über dies Buch zu urteilen. Zuerst einmal: ja, es ist ein absolut würdiger Abschluss der Trilogie, und ich wünschte, ich hätte die Bücher direkt am Stück gelesen, so dass mir noch mehr Details aufgefallen wären. Doch auch so sind es genügend. Diese Welt, die Margaret Atwood geschaffen hat, hat mich so beeindruckt und sich meinem Hirn so nachhaltig eingepresst, dass es von nun an wohl oft der Fall sein wird, dass ich Bilder hieraus sehe, wenn ich an die Zukunft denke oder irgendetwas passiert, das auf eine derartige Entwicklung schließen lässt. Diese Welt ist zersetzt von Verzweiflung und Bösartigkeit, von Egozentrismus und, ja, Dummheit.

Crake tut etwas Unvorstellbares, aber man kann ihn nicht vollkommen verurteilen. Vor allem, wenn man die Welt danach sieht, die zumindest völlig neue Möglichkeiten offenbart. Man kann Arbeiten über dieses Buch bzw. die Trilogie schreiben, zum Beispiel über die „Rückkehr der Schrift“ oder wie sofort nach Neuanfang ein neuer Gott geschaffen wird, der auch für die Craker das Wichtigste zu sein scheint, und dessen „Wort“ sie tagtäglich zu hören verlangen. Und wie die Menschen ihnen genau das geben, anstatt den Neuanfang als genau solchen zu nehmen und dies gar nicht erst zu installieren. Dies lässt darüber nachdenken, inwieweit Kultur und Glauben überlebensnotwendig sind, und ob es überhaupt möglich ist, ohne eine „höhere Macht“ zu leben bzw. eine Gesellschaftsordung aufzustellen.

Ich möchte jedem diese Trilogie unbedingt ans Herz legen. Ich glaube, mich persönlich werden Teile von ihr für den Rest meines Lebens begleiten, und obwohl ich gerne mehr erfahren würde, finde ich, dass Margaret Atwood einen würdigen Abschluss gefunden hat, mit Kloß im Hals und ein wenig Hoffnung im Lächeln unter Tränen. Es ist ein außergewöhnliches Gedankenexperiment, das auf den zweiten Blick nicht so weit hergeholt ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Und mit diesem sollte man sich durchaus einmal auseinandersetzen. Im Nachwort schreibt Frau Atwood:

„Obgleich „Die Geschichte von Zeb“ ein fiktionales Werk ist, gibt es darin keine Technologien oder Biowesen, die nicht bereits existieren, sich im Bau befinden oder theoretisch möglich wären.“

Margaret Atwood: Die Geschichte von Zeb. Aus dem Englischen von Monika Schmalz. Berlin Verlag, 2013. 477 Seiten.

Die Vorgeschichte:

Oryx und Crake

Das Jahr der Flut

Eine weitere Besprechung gibt es bei Bingereader.

Darren Aronofsky hat sich die Rechte gesichert, eine TV-Serie aus dem MaddAddam-Stoff zu machen. Ich hoffe, das wird passieren!

Margaret Atwood -Das Jahr der Flut

Zweiter Teil der MadAddam-Trilogie

 

Das Jahr der Flut spielt zur gleichen Zeit und am gleichen Ort wie Oryx und Crake. Auch Jimmy bzw. Schneemensch spielt eine kleine Rolle, aber die eigentlichen Protagonisten sind dieses Mal zwei Frauen: Toby und Ren. Es ist Anfangs etwas verwirrend, den Handlungen zu folgen, da die Kapiteleinteilung etwas gewöhnungsbedürftig ist. Jede der Beiden erzählt ihre Geschichte, einmal den Teil, der zu den Ereignissen führt, die schon in Oryx und Crake beschrieben werden, dann den Teil, der im „Jetzt“ spielt, im Jahr 25, und ihr Leben nach der Katastrophe schildert. Unterbrochen werden diese Berichte von „Predigten“ und „Kirchenliedern“ der „Gottesgärtner“. Diese bilden eine Gruppe, die es sich zur Religion gemacht hat, möglichst „grün“ zu leben, sie sind Veganer, produzieren alles, was sie konsumieren, selber und verkaufen auch einen Anteil davon. Sie sind radikal, aber ihre größte Radikalität besteht meines Erachtens darin, dass sie sich komplett vom Rest der Welt und seiner Lebensweise distanzieren.

fcd30214d1Toby hat früh ihre Mutter verloren, sie ist nicht ganz sicher, was passiert ist, vermutet jedoch, dass diese einem Experiment zum Opfer fiel. Um die Familie ruhigzustellen, wurde sie bedroht und fast vernichtet. Toby beginnt, bei einem Burgerrestaurant zu arbeiten und gerät dort in die Hände des Chefs, der sie als sein Eigentum und seine persönliche Sklavin betrachtet. Eines Tages bekommt sie unerwartet Hilfe von den Gottesgärtnern und schließt sich diesen an, auch wenn sie nicht von der „Religion“ überzeugt ist. Aber es geht ihr gut, sie hat zu essen und ihren Frieden, und vor allem Schutz.

Ren bzw. Brenda wächst bei den Gottesgärtnern auf. Ihre Mutter ist mit einem der führenden Gottesgärtner durchgebrannt und lebt nun mit diesem zusammen. Ren kennt es nicht anders und ist recht zufrieden dort, auch wenn sie die sogenannten Plebsler sieht, die „normal“ lebenden Jugendlichen und sich auch manchmal wünscht, schöne Dinge und Kleidung zu haben. Aber sie hat eine Freundin und eines Tages kommt mit Amanda eine Plebslerin zu den Gottesgärtnern, die Rens beste Freundin wird. Nach einem Streit nimmt Rens Mutter sie allerdings wieder mit in einen der Komplexe, wo Ren dann ein „normales“ Leben führt, mit allem Luxus, richtigem Schulunterricht und danach der Uni. Hier trifft sie auch auf Jimmy, in den sie sich unsterblich verliebt.

Doch nun, in der „Jetzt-Zeit“, ist die Katastrophe passiert, die wasserlose Flut über sie hinweggerollt. Es leben nicht mehr viele Menschen, und diejenigen, die noch da sind, sind gewalttätig und nur auf den momentanen Vorteil bedacht. Ren hat überlebt, weil sie als Tänzerin in Quarantäne war, abgeschottet vom Rest der Welt. Toby hat sich in einem Spa verschanzt und lebt von dem, was noch übrig ist und was eventuell neu wächst.

Doch eines Tages kreuzen sich ihre Wege wieder, und nicht nur ihre, sondern auch die von Gewalttätern, von ehemaligen Gottesgärtnern, von Jimmy, und auch die Craker werden entdeckt. Wie all dies weitergeht und zusammenfindet, wird hoffentlich in Die Geschichte von Zeb thematisiert, der dritte Teil, der die Trilogie hoffentlich befriedigend abschließt.

Ich habe Das Jahr der Flut vor Jahren schon einmal gelesen, ohne damals vorher Oryx und Crake zu kennen. Es ist kein allzu großes Problem, die Geschichte auch so zu verstehen, aber wenn man die Möglichkeit hat, sie in der Reihenfolge zu lesen, würde ich das schon auf jeden Fall empfehlen, vor allem, weil die „wasserlose Flut“ sonst ein sehr schwammiges Ereignis bleibt. Mir hat der zweite Teil aber auch sehr gut gefallen, vor allem natürlich wegen Margaret Atwoods immer hervorragender Sprache.

Aber auch die Geschichte wird weiterentwickelt, von der Perspektive Jimmys, der im Mittelpunkt all dessen stand, was passierte und passiert, wird übergeschwenkt auf die Gesellschaft, die plötzlich mit etwas vollkommen Ungeheurem konfrontiert wird. Diese Gesellschaft ist damit heillos überfordert, ist sie doch durch und durch technisiert und, Entschuldigung, zu größten Teilen vollkommen verblödet. Sogar für die Gottesgärtner ist das Überleben eine Herausforderung, doch sie haben am Ende die besten Karten… oder nicht?

Auch wenn es nicht immer leicht ist zu wissen, wo in der Handlung man gerade steht, ist auch dieses Buch absolut zu empfehlen. Die Welt, die Margaret Atwood erschaffen hat, wird konsequent weitergeführt, und mit Unbehagen fragt man sich oft, ob sie nicht doch nur ein Fenster in die Zukunft geöffnet hat. Man muss sich auch mit diesem Buch auseinandersetzen, aber es lohnt sich.

Margaret Atwood: Das Jahr der Flut. Deutsch von Monika Schmalz. Berlin Verlag, 478 Seiten.