Kathryn Stockett – Gute Geister (The Help)

Der Roman

Kathryn Stocketts Roman Gute Geister (The Help) ist im amerikanischen Süden, in Jackson, Mississippi, angesiedelt. Er erzählt von einer für damalige Verhältnisse ungehörigen Begebenheit, aus der Sicht von drei Frauen. Auch wenn die Sklaverei lange abgeschafft ist, herrschen im Grunde die gleichen Verhältnisse, außer dass die Hilfen für nicht ganz den Mindestlohn arbeiten. Zwei dieser Hilfen, Aibileen und Minny, erzählen der weißen Skeeter ihre Geschichten. Ihre drei Perspektiven wechseln sich ab.

Aibileens Perspektive eröffnet den Roman, sie beschreibt einen ihrer Arbeitstage und sinniert über die weißen Kinder, die sie großgezogen hat und großzieht, nach. Ihr eigener Sohn ist bei einem Unfall gestorben. Nicht, dass sie sich ihre Trauer anmerken lassen dürfte. Ihre beste Freundin ist Minny, eine ausgezeichnete Köchin, die für die Mutter von Miss Hilly arbeitet, bis Hilly diese ins Altenheim verfrachtet und Minny für sich selbst will. Als Minny ablehnt, verbreitet Hilly Gerüchte über sie, so dass sie keine neue Anstellung mehr findet. Miss Hilly sitzt nun mit Elizabeth Leefolt, Aibileens Arbeitgeberin, und Skeeter in Miss Leefolts Haus und spielt Bridge. Hilly eröffnet ihnen ihre neueste Idee: jede Hilfe muss eine eigene Toilette haben.

Minny, nun arbeitslos nach der Episode mit Hilly, hat wenig Erfolgsaussichten, einen neuen Job zu finden. Durch einen Zufall (ein bisschen nachgeholfen) landet sie bei Celia Foote, die den Mann heiratete, der einst Hillys Freund war. Sie wird von allen geächtet. Aber das ist nicht das einzige, was sie belastet. Zunächst mal kann sie nicht kochen, und Minny wird ihre Lehrerin. Und kommt langsam aber sicher hinter das Geheimnis, das Celia umgibt.

Skeeter hat ihre College-Zeit beendet und wurde nicht „weggeheiratet“. Nun ist sie wieder in ihrem Jugendzimmer und sucht nach ihrem Platz im Leben, stets begleitet vom Konzert ihrer Mutter über all ihre Unzulänglichkeiten. Ihre besten Freundinnen sind Hilly und Elizabeth, die sie gerne verkuppeln möchten, was aber nicht so ganz funktioniert. Skeeter sucht sich einen Job bei einer Zeitung, doch das Beste, was sie als Frau, noch dazu frisch vom College, bekommen kann, ist eine Haushaltskolumne. Kein Problem, sie hat ja nicht ihr Leben lang alles von den Hilfen abgenommen bekommen. Nun bittet sie also Aibileen um Hilfe. Für ihre Kolumne.

Und so kommt die Konstellation zustande, die dann im weiteren Verlauf dazu führt, dass Skeeter, um ihre Karriere voran zu bringen, Aibileen und Minny und noch einige andere Frauen fragt, ihr von ihrem Leben als „The Help“ zu erzählen. Es sind die sechziger Jahre, Martin Luther King wird schon bald von einem Traum sprechen, aber dieser ist bis jetzt nicht erfüllt. Die Realität der Schwarzen in Jackson besteht aus versehrten Körpern und Seelen, weil sie irgendeine Weißenregel missachtet haben.

Je mehr dieser Versehrungen stattfinden, umso mehr Geschichten kommen zutage. Diese sind nicht immer schlecht, aber die meisten sprechen eine eindeutige Sprache. Und sind damit brandgefährlich für alle Beteiligten. Als das Buch schließlich erscheinen soll, muss eine Sicherheit her. Doch kann es die geben?

Der Roman The Help hat mir gut gefallen. Ich habe in letzter Zeit angefangen, mich mit der Black Lives Matter – Bewegung und auch mit Feminismus zu beschäftigen, wobei ich noch unendlich viel lernen muss, und in dieser Hinsicht hat er schon einiges zu bieten. Es handelt sich um eine Geschichte, die ausschließlich aus weiblichen Perspektiven behandelt wird, und zwei dieser Perspektiven sind die von Schwarzen Frauen.

Ich schaue den Film

Ich habe die Buchausgabe mit den Schauspielerinnen der Verfilmung auf dem Cover, ich weiß, dass Octavia Spencer den Oscar für die beste Nebendarstellerin bekommen hat. Nach Beenden des Buches sehe ich mir den sehr erfolgreichen Film an, ich bin neugierig auf die Umsetzung der Perspektiven und ob es geschafft wird, die Stimmen so stark zu machen wie im Buch.

Natürlich nicht. Klar ist von vornherein, wie natürlich bei jeder Verfilmung: der Roman hat 600 Seiten, gekürzt wurde ausgiebig. Aber Kürzen muss nicht unbedingt vereinfachen heißen, was jedoch hier fast überall getan wurde. Lächerlich ist Skeeters Lernkurve, die erstaunten Augen, wenn sie anfängt zu begreifen, was um sie herum geschieht, oder wie die Realität für die anderen Frauen aussieht. Vereinfachung ist hier überhaupt das Wort: Allison Janney, die Skeeters Mutter verkörpert, ist in dieser Rolle, die auch vereinfacht und am Ende unglaublich beschönigt wird, eine absolute Fehlbesetzung. Skeeters Herrenprobleme sind im Film vollkommen überflüssig, und Celias Geheimnis wird auch nur in eine Disney-Version verpackt. Was zur Folge hat, dass diese absolut unangemessene Endszene mit ihr und Minny zustande kommen konnte.

Die starke Vereinfachung geht natürlich auch an Aibileens Figur nicht vollkommen vorbei, aber sie kommt tatsächlich glaubhaft und nachvollziehbar an. Insgesamt gibt es viele schöne Bilder und eine „schöne“ Atmosphäre, aber diese täuschen nicht darüber hinweg, dass Probleme nur angedeutet werden und die Gefahren und Ängste quasi nicht stattfinden.

Ich lese den Essay von Roxane Gay

Parallel zu Gute Geister lese ich den Essayband Bad Feminist von Roxane Gay. Dieser enthält auch einen Essay zu – hauptsächlich – der Verfilmung. Ich hebe mir diesen auf, bis ich das Buch beendet und den Film gesehen habe, damit ich mir selbst ein Bild machen und dann eine andere Meinung einholen kann. Und diese ist anders. Sie sieht zum ersten das Problem, dass eine weiße Frau über Schwarze Frauen schreibt, die aber keine Ahnung hat von dem, wie es wirklich war und so immer nur in der Lage sein wird, eine beschönigte Version wiedergeben zu können.

Gay spricht von der Figur des Schwarzen in Filmen, der auftritt, um dem Protagonisten die weisen Eigenschaften zu verleihen, die er oder sie braucht, um weiterzukommen (Gay, S. 272). Siehe „Ghost – Nachricht von Sam“, „Robin Hood, König der Diebe“ oder „The Green Mile“. Hier tut Aibileen dies für Mae Mobley, Elizabeths ungeliebte Tochter. Skeeters problematischer Umgang mit dem „Erlernten“, das eigentlich so offensichtlich für sie sein sollte, ist ein weiteres Problem. Auch, dass sie sich nicht darüber im Klaren ist, wie sehr sie die Frauen gefährdet, und am Ende auf ihre Stelle verzichten will, um sie zu „beschützen“, ist schwierig.

Die Probleme mit dem Dialekt, der den Schwarzen Frauen gegeben wurde, kann ich nicht beurteilen, da ich den Roman in der deutschen Fassung gelesen habe und auch bei der englischsprachigen Filmversion keine Ahnung habe, ob das authentisch ist oder nicht. Da muss ich ihr glauben. Viele ihrer Punkte konnte ich nachvollziehen, bei einigen hatte ich einige Schwierigkeiten damit.

Der Essay von Roxane Gay war eine hilfreiche Erfahrung für mich, zu überprüfen, wie ich Dinge wahrnehme und was ich als selbstverständlich annehme oder ohne weiteres Nachdenken hinnehme. Ich sehe, ich habe noch einiges zu tun, um Dinge anders einschätzen zu können, aber der Lernprozess läuft.

Kathryn Stockett: Gute Geister. The Help. Deutsch von Cornelia Holfelder-von der Tann. btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2012. OA: The Help. Amy Einhorn Books/Putnam, New York, 2009. 605 Seiten.

Roxane Gay: Bad Feminist. Aus dem amerikanischen Englisch von Anne Spielmann. btb Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2019. OA: Bad Feminist. Harper Perennial, New York, 2014. 414 Seiten.

Einiges neu und: „The Future is Female!“

Liebe Leserinnen,

lange habt Ihr nichts mehr von mir gehört. In den letzten Monaten hat sich sehr viel in meinem Leben verändert, und es war und ist nicht einfach, mit all dem umzugehen. Die erste Konsequenz, nachdem es jetzt soweit ist, dass ich alles ein wenig verarbeiten kann, ist, dass mir aufgefallen ist, wie wenig mir mein Blog noch passt. Nach achteinhalb Jahren und einer Lernkurve für mich und der Entwicklung in der Community fühlt er sich einfach nicht mehr richtig an.

Daher habe ich einiges geändert. Visuell, wie Ihr wohl auf den ersten Blick bemerkt habt. Und inhaltlich: ich habe die ganze Sache mit der Liste herausgenommen, auch die persönliche Rangliste. Dort ist so lange nichts mehr passiert, dass ich mir denke, niemand wird es vermissen. Nichtsdestotrotz habe ich sie noch und werde sie weiterhin abarbeiten, nur eben nicht mehr als erstes Ziel.

Das erste Ziel wird von nun an sein, alles zu lesen, wovon ich denke, dass es mir hilft: mich weiterbringt, mich tröstet, mich aufregt, mich zum Lachen bringt… Ihr wisst schon. Und dann werde ich ein neues Fass aufmachen: feministische Literatur. Ich möchte mich da weiter bilden. Es ist ja nicht so, als habe ich bisher nicht viel Literatur von und für Frauen gelesen (mehr als ein Drittel der besprochenen Bücher), aber ich möchte mehr in die Theorie gehen, so dass ich in bestimmten Situationen mehr Rüstzeug habe.

Ich hoffe, Ihr werdet mich alle weiterhin begleiten (so viel wird sich ja nicht ändern) und freue mich, wenn Ihr weiter dabei seid. Und nun zu meinem ersten, nicht so ganz gelungenen Versuch:

Hrsg.: Scarlett Curtis: „The Future is Female!“

Diesen wunderschön pinken Band (die Farbe heißt ‚Baker-Miller-Pink‘, was es damit auf sich hat, berichtet einer der Beiträge) habe ich mir zugelegt in der Hoffnung, hier einen Einstieg in die feministische Literatur zu bekommen. Es handelt sich um einen Band, der aus zahlreichen Beiträgen von hauptsächlich jungen Frauen besteht, und was Feminismus für sie bedeutet.

Er ist in mehrere Teile unterteilt: Erleuchtung, Zorn, Freude, Zeit für ein bisschen Poesie, Aktion, Bildung, abgerundet von einer Lektüreempfehlung von Emma Watson und einem „Was als nächstes kommt“ der Herausgeberin Scarlett Curtis.

Es waren einige interessante Beiträge dabei. Doch ich muss für mich sagen, ich hätte genauer hingucken sollen. Dieser Band richtet sich an junge Frauen, die sich vielleicht noch gar nicht mit dem Thema auseinander gesetzt haben. Die Beiträge haben mir sicherlich ein wenig geholfen, aber im Großen und Ganzen war ich nicht die Zielgruppe.

Daher werde ich Folgendes tun: Ich werde ihn in der nächsten Woche zu unserer kleinen Bibliothek tragen und die Damen und Herren dort bitten, es in ihren Bestand aufzunehmen, damit er hoffentlich der einen oder anderen jungen Dame oder dem ein oder anderen jungen Herrn helfen möge, sich neue Gedanken zu machen, sich nicht allein zu fühlen, neue Projekte zu finden oder was auch immer er inspirieren mag.

Hrsg.: Scarlett Curtis: „The Future is female!“. Erweiterte deutsche Erstausgabe. Verlagsgruppe Random House GmbH, München, 2018. OA: „Feminists don’t wear pink and other lies. Amazing women on what the F-word means to them.“ Penguin Books UK, 2018. 414 Seiten.

Ali Smith – Wem erzähle ich das?

Wem erzähle ich das? ist eines dieser Bücher, denen man nicht so oft über den Weg läuft. Es ist eine Mischung aus Essay und Roman, Abhandlung über Kultur und Sprache, Umgang mit Trauer und die ersten Schritte zurück ins Leben.

Die Ich-Erzählerin hat vor einem Jahr ihre Gefährtin verloren und ist seitdem gelähmt vor Trauer. Nach einem Tag und einem Jahr zieht sie schließlich ein Buch aus dem gemeinsamen Bücherregal – es ist Oliver Twist – und beginnt sich daran zu erinnern, was ihre Geliebte, die Kunst- und Literaturwissenschaftlerin war, ihr dazu gesagt hat. Sie macht den nächsten großen Schritt und verrückt einen Sessel an einen Ort, den ihre Gefährtin nicht mochte und beginnt zu lesen und in deren Gedanken- und ja, auch Lebenswelt, einzutauchen.Dann jedoch kommt die Geliebte zurück – als schwarzer Schatten, der wirres Zeug faselt, jedoch immer an ihrer Seite ist. Die Ich-Erzählerin beginnt, sich mit ihr auseinanderzusetzen, erinnert sich an ihre gemeinsamen Gespräche, aber auch an die Monologe über Bücher und kulturelle Phänomene. Die Vorlesungen, die die tote Gefährtin zurückließ, leiten sie einen Weg entlang, einen Weg der Entdeckungen und der erst zaghaften, dann aber immer intensiveren Auseinandersetzung mit der Welt, zurück ins Leben.

Das Buch ist in vier Teile unterteilt: – Zeit, – Form, – Ränder, und – Angebot und Widerspiegelung. In ihnen setzt die Ich-Erzählerin – anhand der Aufzeichnung von und der Erinnerungen an die Geliebte sich mit diesen Phänomenen auseinander. Sie zieht Literatur, Kunst, Philosophie, Musik und Film zu Rate, zahlreiche Beispiele werden genannt und in Kontext gesetzt. Zudem ist die Ich-Erzählerin Biologin und addiert eine Komponente, die manchmal erstaunliche Einsichten geben.

Und so ist dieser Roman zunächst eine Verarbeitungsgeschichte, aber dann so viel mehr. Ich möchte nicht behaupten, dass ich alles verstanden hätte, jedes Beispiel in einen Kontext setzen konnte oder jeden Kontext auch nur umreißen konnte – dafür müsste man all die Bücher gelesen, Filme gesehen, Kunstwerke besucht, Gespräche geführt und Musik gehört haben, die für das Buch verwendet wurden. Viele Zitate und Gedichte sind jedoch im Text eingebaut, und von vielen Werken hat man zumindest eine Ahnung, selbst wenn man sie nicht persönlich kennt, und so kann man doch das meiste verstehen.

Für die weitere Lektüre befindet sich am Ende ein Quellenverzeichnis, das ich gewiss noch einmal zu Rate ziehen werde. Auch gibt es in der Mitte des Buches einige Abdrucke der besprochenen Bilder, damit man selber sieht, was gemeint ist.

Dieser schmale Band von gerade gut 200 Seiten hat einen Inhalt wie für 1000, und eine einmalige Lektüre kann – zumindest den meisten Lesern – diesem Essay-Roman wohl nicht gerecht werden. Zu vielfältig sind die Ideen, zu komplex die Themen, zu groß die Bandbreite. Und doch: was schon bei der ersten Lektüre an Freude beim Nachvollziehen, beim genußvollen Erkunden der Gedankengänge, beim Nachlesen und Vergleichen aufkommt, lässt den Leser sicherlich noch einige weitere Male zur Lektüre greifen.

Ich habe sehr viel Spaß an diesem Buch gehabt, und ich wünsche ihm noch sehr viele Leser mehr! Vielleicht wird dies aber auch geschehen, da Ali Smith mit ihrem neuen Roman Autumn auf der Short-List des diesjährigen Man Booker Prize steht und somit in den Blickpunkt rückt.

Ali Smith: Wem erzähle ich das? Aus dem Englischen von Silvia Morawetz. Luchterhand Literaturverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München 2017. OA: Artful. Hamish Hamilton, Penguin Random House UK, London 2012.223 Seiten.

Ich danke Random House für das Leseexemplar.

 

Ali Smith wurde am 24. August 1962 in Inverness geboren. Sie veröffentlichte mehrere Romane und Erzählbände und erhielt zahlreiche Preise. Sie ist Mitglied der Royal Society of Literature und wurde 2015 zum Commander of the Order of the British Empire ernannt. Ihr Roman „Beides sein“ wurde 2014 mit dem Costa Novel Award, dem Saltire Society Literary Book of the Year Award und dem Goldsmith Prize ausgezeichnet und gewann 2015 den Baileys Women`s Prize for Fiction. Sie lebt mit ihrer Lebenspartnerin Sarah Wood in Cambridge.

Warum ich lese – 40 Liebeserklärungen an die Literatur

Letztes Jahr stellte Sandro vom Blog Novelero sich die Frage, warum er eigentlich liest. Dies inspirierte viele Menschen dazu, das Gleiche zu tun, was in einer großen Anzahl von Beiträgen gipfelte. Auch ich schrieb meine Geschichte dazu.

40 dieser Beiträge hat der Homunculus Verlag nun zu einem wundervollen Buch gestaltet – und mein Beitrag ist auch dabei! Ich freue mich sehr, Teil dieses Projekts zu sein, und hoffe, der Eine oder die Andere interessiert sich für die Geschichten, die „Lesenswege“, und fühlt sich vielleicht inspiriert, über seinen oder ihren Weg zum Lesen nachzudenken. Es sind sehr persönliche Geschichten, unterhaltend, traurig, fröhlich, anregend. Und nach der Lektüre kann es nur einen Weg geben: Den zum Bücherregal!

Erhältlich ist das Buch hier:

Warum ich lese.
40 Liebeserklärungen an die Literatur

Ich wünsche viel Freude mit diesem tollen Buch und hoffe, es möge viele Leser finden!

 

Virginia Woolf – Ein Zimmer für sich allein

„Aber, so werden Sie sagen, wir baten Sie doch, über Frauen und Fiction zu sprechen – was hat das mit einem Zimmer für sich allein zu tun? Ich will versuchen, es zu erklären.“ (S.7)

Virginia Woolf bekommt den Auftrag, einen Vortrag über Frauen und Fiction zu halten (mit Fiction ist jede Art von erzählender Prosa gemeint, A.d.Ü.). Dies stellt sie vor einige Probleme, zum ersten, wie dies wohl gemeint sein könnte – wie Frauen sind, wie Frauen schreiben, wie über Frauen geschrieben wird, oder alle drei Teile? Sie stellt schnell fest, dass die Fragen nicht beantwortet werden können und bietet als „Ersatzantwort“:

„Alles, was ich tun konnte, war, Ihnen eine Meinung über einen weniger wichtigen Punkt anzubieten – eine Frau muß Geld haben und ein Zimmer für sich allein, wenn sie Fiction schreiben will; und das läßt, wie Sie sehen werden, das große Problem der wahren Natur der Frau und der wahren Natur von Fiction ungelöst“ (S.8)

1928 gibt es schon ein paar Frauen, die sich einige Lorbeeren verdient haben, Woolf denkt hier z.B. an die Brontës, Jane Austen, Nancy Mitford, George Eliot oder Elizabeth Gaskell – aber wenn man an den schier unüberblickbaren Wust an von Männern hervorgebrachter Literatur denkt, sind die Werke der Damen verschwindend in der Minderzahl.

Wie sollte es auch anders sein? Frauen waren seit Jahrhunderten hauptsächlich zum Gebären und Kochen da, nicht, um sich intellektuell zu bilden und dies auch noch in die Welt zu posaunen. Die katholische Kirche hat Frauen, die sich geweigert haben, als Hexen verfolgen lassen, sie hat die Frauen zum Eigentum der Männer gemacht (ja, bis 1976 musste der Ehemann die Erlaubnis geben, dass seine Frau arbeiten darf), ja, nächstes Jahr jährt sich der Tag der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland erst zum 100. Mal und ja, nach wie vor verdienen Frauen ca. ein Fünftel weniger als Männer.

Es gab natürlich immer Frauen in der Literatur – man nehme nur die Bibel und ihre Exegesen über die Stereotypen der „Hure“ und der „Heiligen“, oder Frauen als die großen „Verführerinnen“, oder Frauen als „unerreichbare Wesen, die man anbetete“ usf., kurz, Frauen als von Männern erschaffene Kreaturen. Und auch in der Wissenschaft wurden sie so gut wie nie berücksichtigt – wie viel Forschung gab es z.B. über Frauen im Mittelalter, ihre Lebensweise, ihre Bildung?

„Gelegentlich wird eine einzelne Frau erwähnt, eine Elizabeth oder eine Mary; eine Königin oder eine große Adlige. Aber unter gar keinen Umständen konnten Frauen der Mittelklasse, die nichts zur Verfügung hatten als ihren Verstand und ihren Charakter, an irgendeiner der großen Bewegungen teilhaben, die, zusammengetragen, das Bild des Historikers von der Vergangenheit ausmachen. Noch werden wir sie in irgendeiner Anekdotensammlung finden.“ (S.52)

Es geht natürlich nicht nur um die Schriftstellerei, Frauen war Wissen im Allgemeinen nicht zugänglich. Man möge sich einmal vorstellen, wie weit die Welt sein könnte, wenn die anderen 50 % an Forschung, an Arbeit, an langen Stunden des Versuchens und Scheiterns und schließlich des Fortschritts stattgefunden hätten. Aber die Damen hatten ja anderes zu tun – sie mussten für die Kinder sorgen. Und Kinder und ein eigenes Gehirn schlossen sich anscheinend kategorisch aus.

Die Natur schreibt nach wie vor vor, dass Frauen die Kinder bekommen. Aber die Gesellschaft ist, zumindest hier, ein Stück weiter gekommen, und Frauen bekommen mehr Unterstützung, so dass sie die Möglichkeit zu Zeit mit sich und ihren Gedanken haben können, und Muße, um ihr Hirn einzusetzen. Aber, und das möchte Virginia Woolf sagen, es geht nicht ohne ein Zimmer für sich allein. Ein Zimmer, in dem kein Esstisch steht, in dem niemand unterhalten werden möchte, in das keiner mit seinen Problemen kommt. Ein Zimmer, in dem sich nur die Frau und ihre Gedanken befinden. Lasst Frauen mit ihrer Bildung, ihren Gedanken, ihrer Tatkraft in Ruhe machen, und es können wunderbare Dinge geschehen. Lange genug ist das nicht geschehen.

Unsere Welt hier hat sich in den letzten Jahrzehnten ein ganzes Stück in die richtige Richtung bewegt. Die Frauen sind in der Forschung angekommen, die Frauen forschen und werden erforscht, Jahrhunderte an Schicksalen werden aufgearbeitet, Ansichten und Arbeit fließen mit ein.

Wenn es jetzt noch so weit kommen könnte, dass egal ist, ob Frau Rock oder Hose, ausgeschnittenes Top oder hochgeschlossene Bluse trägt, egal ist, dass Frau vielleicht in eine Pause gehen muss, um Kinder zu bekommen, und sie danach wiederkommen kann, wenn alle Personen das Gleiche für Gleiches bekommen und niemand mehr einfach zu Material zum „grabben“ degradiert wird, dann sind wir noch ein wenig weiter. Virginia Woolf würde das wohl gutheißen.

Dieses kleine Büchlein, das zwei Vorträge von Virginia Woolf aufgreift, ist ein wahrer Augenöffner. Ich glaube, viele Frauen in unseren Breitengraden denken, es sei doch schon so weit und alles okay, und man müsse nun nicht mehr weiterarbeiten zur vollständigen Gleichstellung. Woolf öffnet hier die Augen, sagt, Ladies, hört zu, passt auf, seht Euch um. Sie gibt die Denkanstöße, auf denen man auch heute noch so vieles aufbauen kann – und jede Person sollte dies tun.

Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein. Aus dem Englischen von Renate Gerhardt. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981. OA: A Room of One’s Own“. Copyright 1929 by Quentin Bell and Angelica Garnett.

Porträt von Virginia Woolf als Straßenkunst in São Paulo, Brasilien (2007), via Wikipedia.de

Virginia Woolf wurde am 25.1.1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Bereits mit 22 Jahren bildete sie gemeinsam mit ihrem Bruder den Mittelpunkt der intellektuellen ›Bloomsbury Group‹. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag ›The Hogarth Press‹. Ihre Romane, die zur Weltliteratur gehören, stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Schon sehr früh engagierte sie sich für die Frauenbewegung und gemeinsam mit ihrem Mann für die sozialistischen Bestrebungen der Labour Party. Am 28.3.1941 schied sie freiwillig aus dem Leben. (s. o.a. Ausgabe)