Meine Top 7 in 2017

Zunächst einmal ein frohes neues Jahr Euch allen! Möget Ihr ein wundervolles Jahr 2018 haben, in dem der ein oder andere Wunsch in Erfüllung geht!

An diesen Tagen nehmen die „Meine Top…“-Artikel ein wenig Überhand, ich weiß. Dennoch möchte auch ich hier noch das Jahr abschließen, so dass ich voller Elan und Freude in mein neues Lesejahr starten kann.

2017 war kein gutes Jahr, was die meine Lektüre betrifft – nicht, weil ich keine guten Bücher gelesen habe, es waren nur nicht viele. Zu meiner Verteidigung muss ich jedoch hinzufügen, dass schon einige Schinken dabei waren, was die Bilanz noch etwas schmälert. Dennoch, hier kommen sie, meine Favoriten aus dem Jahr 2017 (in chronologischer Reihenfolge und natürlich absolut subjektiv)!

 

Gerbrand Bakkers „Oben ist es still“ las ich recht schnell nach meinem Favoriten aus dem letzten Jahr, Jasper und sein Knecht. Auch dieser Roman konnte mich wieder überzeugen, vor allem durch die Sprache Bakkers. Auf jeden Fall die Lektüre wert!

 


Ein weiteres Highlight war „Ein Zimmer für sich allein“ von Virginia Woolf. Das wird sicher nicht die einzige Lektüre bleiben, und ich denke, es wird es jedesmal in meine Top-Bücher schaffen!

 

 


Schon seit vielen Jahren hoch oben auf meiner Liste der besten Bücher, die ich je las, und jetzt, nach der erneuten Lektüre, immer noch genau dort: Margaret Atwood und „Der Report der Magd„. Bitte den Roman lesen und dann die großartige Serienverfilmung anschauen!

 

 

 

Ein mir bis dahin unbekannter Autor betrat meine Lesebühne, James Baldwin mit „Giovannis Zimmer„. Dies wird mit Sicherheit nicht meine letzte Lektüre von ihm sein. Vorsatz für 2018: endlich die Doku sehen!

 


Und dann kam mein absolutes Lesehighlight, nicht nur in 2017, sondern für viele Jahre: Paul Austers „4 3 2 1“. Dieser Roman hat mich umgehauen, und die viele Zeit, die ich investiert habe, hat sich mit jeder Sekunde gelohnt. Ich wollte, ich könnte ihn nochmal von Neuem lesen und Archie wieder kennenlernen!

 

Dann war da noch Zora Neale Hurston mit „Und ihre Augen schauten Gott“, der mich mit seiner Sprache umgehauen hat. Eine ungewöhnliche Geschichte in einer ungewöhnlichen Sprache = unbedingt lesen!

 

 

 

Und dann las ich noch den ersten Teil von J.J Voskuils „Das Büro“ und bin total angefixt! Ich kann es kaum erwarten, mehr über Maarten Koning und seine Kollegen zu erfahren!

Virginia Woolf – Ein Zimmer für sich allein

„Aber, so werden Sie sagen, wir baten Sie doch, über Frauen und Fiction zu sprechen – was hat das mit einem Zimmer für sich allein zu tun? Ich will versuchen, es zu erklären.“ (S.7)

Virginia Woolf bekommt den Auftrag, einen Vortrag über Frauen und Fiction zu halten (mit Fiction ist jede Art von erzählender Prosa gemeint, A.d.Ü.). Dies stellt sie vor einige Probleme, zum ersten, wie dies wohl gemeint sein könnte – wie Frauen sind, wie Frauen schreiben, wie über Frauen geschrieben wird, oder alle drei Teile? Sie stellt schnell fest, dass die Fragen nicht beantwortet werden können und bietet als „Ersatzantwort“:

„Alles, was ich tun konnte, war, Ihnen eine Meinung über einen weniger wichtigen Punkt anzubieten – eine Frau muß Geld haben und ein Zimmer für sich allein, wenn sie Fiction schreiben will; und das läßt, wie Sie sehen werden, das große Problem der wahren Natur der Frau und der wahren Natur von Fiction ungelöst“ (S.8)

1928 gibt es schon ein paar Frauen, die sich einige Lorbeeren verdient haben, Woolf denkt hier z.B. an die Brontës, Jane Austen, Nancy Mitford, George Eliot oder Elizabeth Gaskell – aber wenn man an den schier unüberblickbaren Wust an von Männern hervorgebrachter Literatur denkt, sind die Werke der Damen verschwindend in der Minderzahl.

Wie sollte es auch anders sein? Frauen waren seit Jahrhunderten hauptsächlich zum Gebären und Kochen da, nicht, um sich intellektuell zu bilden und dies auch noch in die Welt zu posaunen. Die katholische Kirche hat Frauen, die sich geweigert haben, als Hexen verfolgen lassen, sie hat die Frauen zum Eigentum der Männer gemacht (ja, bis 1976 musste der Ehemann die Erlaubnis geben, dass seine Frau arbeiten darf), ja, nächstes Jahr jährt sich der Tag der Einführung des Frauenwahlrechts in Deutschland erst zum 100. Mal und ja, nach wie vor verdienen Frauen ca. ein Fünftel weniger als Männer.

Es gab natürlich immer Frauen in der Literatur – man nehme nur die Bibel und ihre Exegesen über die Stereotypen der „Hure“ und der „Heiligen“, oder Frauen als die großen „Verführerinnen“, oder Frauen als „unerreichbare Wesen, die man anbetete“ usf., kurz, Frauen als von Männern erschaffene Kreaturen. Und auch in der Wissenschaft wurden sie so gut wie nie berücksichtigt – wie viel Forschung gab es z.B. über Frauen im Mittelalter, ihre Lebensweise, ihre Bildung?

„Gelegentlich wird eine einzelne Frau erwähnt, eine Elizabeth oder eine Mary; eine Königin oder eine große Adlige. Aber unter gar keinen Umständen konnten Frauen der Mittelklasse, die nichts zur Verfügung hatten als ihren Verstand und ihren Charakter, an irgendeiner der großen Bewegungen teilhaben, die, zusammengetragen, das Bild des Historikers von der Vergangenheit ausmachen. Noch werden wir sie in irgendeiner Anekdotensammlung finden.“ (S.52)

Es geht natürlich nicht nur um die Schriftstellerei, Frauen war Wissen im Allgemeinen nicht zugänglich. Man möge sich einmal vorstellen, wie weit die Welt sein könnte, wenn die anderen 50 % an Forschung, an Arbeit, an langen Stunden des Versuchens und Scheiterns und schließlich des Fortschritts stattgefunden hätten. Aber die Damen hatten ja anderes zu tun – sie mussten für die Kinder sorgen. Und Kinder und ein eigenes Gehirn schlossen sich anscheinend kategorisch aus.

Die Natur schreibt nach wie vor vor, dass Frauen die Kinder bekommen. Aber die Gesellschaft ist, zumindest hier, ein Stück weiter gekommen, und Frauen bekommen mehr Unterstützung, so dass sie die Möglichkeit zu Zeit mit sich und ihren Gedanken haben können, und Muße, um ihr Hirn einzusetzen. Aber, und das möchte Virginia Woolf sagen, es geht nicht ohne ein Zimmer für sich allein. Ein Zimmer, in dem kein Esstisch steht, in dem niemand unterhalten werden möchte, in das keiner mit seinen Problemen kommt. Ein Zimmer, in dem sich nur die Frau und ihre Gedanken befinden. Lasst Frauen mit ihrer Bildung, ihren Gedanken, ihrer Tatkraft in Ruhe machen, und es können wunderbare Dinge geschehen. Lange genug ist das nicht geschehen.

Unsere Welt hier hat sich in den letzten Jahrzehnten ein ganzes Stück in die richtige Richtung bewegt. Die Frauen sind in der Forschung angekommen, die Frauen forschen und werden erforscht, Jahrhunderte an Schicksalen werden aufgearbeitet, Ansichten und Arbeit fließen mit ein.

Wenn es jetzt noch so weit kommen könnte, dass egal ist, ob Frau Rock oder Hose, ausgeschnittenes Top oder hochgeschlossene Bluse trägt, egal ist, dass Frau vielleicht in eine Pause gehen muss, um Kinder zu bekommen, und sie danach wiederkommen kann, wenn alle Personen das Gleiche für Gleiches bekommen und niemand mehr einfach zu Material zum „grabben“ degradiert wird, dann sind wir noch ein wenig weiter. Virginia Woolf würde das wohl gutheißen.

Dieses kleine Büchlein, das zwei Vorträge von Virginia Woolf aufgreift, ist ein wahrer Augenöffner. Ich glaube, viele Frauen in unseren Breitengraden denken, es sei doch schon so weit und alles okay, und man müsse nun nicht mehr weiterarbeiten zur vollständigen Gleichstellung. Woolf öffnet hier die Augen, sagt, Ladies, hört zu, passt auf, seht Euch um. Sie gibt die Denkanstöße, auf denen man auch heute noch so vieles aufbauen kann – und jede Person sollte dies tun.

Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein. Aus dem Englischen von Renate Gerhardt. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981. OA: A Room of One’s Own“. Copyright 1929 by Quentin Bell and Angelica Garnett.

Porträt von Virginia Woolf als Straßenkunst in São Paulo, Brasilien (2007), via Wikipedia.de

Virginia Woolf wurde am 25.1.1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Bereits mit 22 Jahren bildete sie gemeinsam mit ihrem Bruder den Mittelpunkt der intellektuellen ›Bloomsbury Group‹. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag ›The Hogarth Press‹. Ihre Romane, die zur Weltliteratur gehören, stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Schon sehr früh engagierte sie sich für die Frauenbewegung und gemeinsam mit ihrem Mann für die sozialistischen Bestrebungen der Labour Party. Am 28.3.1941 schied sie freiwillig aus dem Leben. (s. o.a. Ausgabe)

Textschnipsel zum Montag – 9.1.2017

„Die ganze Struktur, das ist offensichtlich, ganz gleich, an welchen berühmten Roman man zurückdenkt, ist von unendlicher Komplexität, weil sie aus so vielen verschiedenen Urteilen zusammengesetzt ist, aus so vielen verschiedenen Arten von Emotionen. Das Wunder ist, daß jedes Buch, das so komponiert ist, weit länger als ein oder zwei Jahre zusammenhält und möglicherweise dem englischen Leser ebensoviel bedeuten kann wie dem russischen oder dem chinesischen. Aber sie halten mitunter auch auf sehr bemerkenswerte Weise zusammen. Und was sie zusammenhält in diesen raren Fällen des Überlebens (ich dachte an Krieg und Frieden), ist etwas, das man Integrität nennt, obwohl es nichts damit zu tun hat, daß man seine Rechnungen bezahlt und sich in einem Notfall ehrenhaft verhält. Was man im Fall des Romanautors mit Integrität meint, ist die Überzeugung, die er einem gibt, daß dies die Wahrheit ist. Ja, findet man, nie hätte ich gedacht, daß dies so sein könnte; ich habe nie gewußt, daß Leute sich so verhalten könnten. Aber du hast mich davon überzeugt, daß es so ist, daß so etwas geschieht.“ (S. 81)

 Liverpool Central Library Picton Reading Room Photo: Michael D Beckwith


Liverpool Central Library Picton Reading Room
Photo:
Michael D Beckwith

Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein. Aus dem Englischen von Renate Gerhardt. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981. OA: A Room of One’s Own. Copyright 1929 by Quentin Bell und Angelica Garnett.

Textschnipsel zum Montag – 2.1.2017

„Der Brief eines Anwalts fiel in den Briefkasten, und als ich ihn öffnete, stellte ich fest, daß sie mir fünfhundert Pfund im Jahr und auf Lebenszeit ausgesetzt hatte. Von beidem – dem Stimmrecht und dem Geld – schien mir das Geld, das ich nun besaß, unendlich viel wichtiger. […] Ich fürchte, ich muß nicht erst im einzelnen beschreiben, wie hart die Arbeit war, denn Sie kennen vielleicht Frauen, die so gearbeitet haben, noch die Schwierigkeiten schildern, von dem Geld so zu leben, wie es hereinkam, denn das haben Sie vielleicht selbst schon versucht. Was mir aber immer noch als die schlimmste Zumutung von allen in Erinnerung ist, war das Gift der Angst und Verbitterung, das diese Zeiten in mir erzeugten. Vor allem, immer Arbeiten machen zu müssen, die man nicht machen wollte, und sie wie ein Sklave zu tun, schmeichelnd und kriechend, was vielleicht nicht immer notwendig war, aber notwenig schien: es stand zu viel auf dem Spiel, um ein Risiko einzugehen; und dann der Gedanke daran, daß die eine Begabung, die zu verstecken Tod bedeutete, eine kleine Begabung, die ihrer Trägerin aber teuer war, untergehen könnte und mit ihr ich selbst […]

[…]  Keine Macht der Welt kann mir meine fünfhundert Pfund nehmen. Essen, Wohnung und Kleidung sind mir für immer sicher. Es hören dadurch nicht nur Arbeit und Mühsal auf, sondern auch Haß und Bitterkeit. Ich brauche keinen Mann zu hassen; er kann mit nicht weh tun. Ich brauche keinem Mann zu schmeicheln; er kann mir nichts bieten.

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Photo: .BianConiglio.

[…]  wandelten sich nach und nach Angst und Bitterkeit in Mitleid und Nachsicht; und nach ein oder zwei Jahren vergingen auch Mitleid und Nachsicht, und die größte aller Erlösungen trat ein, die Freiheit, an die Dinge selbst zu denken.  […] Tatsächlich, die Erbschaft meiner Tante offenbarte mir den Himmel und setzte an die Stelle einer großen und aufdringlichen Figur, die Milton mir als Gegenstand ständiger Bewunderung empfahl, den Anblick des freien Himmels.“ (S. 45 ff.)

Virginia Woolf: Ein Zimmer für sich allein. Aus dem Englischen von Renate Gerhardt. Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, Frankfurt am Main, 1981. OA: A Room of One’s Own. Copyright 1929 by Quentin Bell und Angelica Garnett.