Buch #51: Donna Tartt – Die geheime Geschichte

Donna Tartt wurde am 23. Dezember 1963 in Greenwood, Mississippi, geboren. Sie studierte an der University of Mississippi umd in Vermont, am Bennington College. Während ihres zweiten Studienjahres begann sie die Arbeit am Roman Die geheime Geschichte, der 1992 veröffentlicht wurde. Er wurde zum weltweiten Bestseller. Donna Tartts neuester Roman Der Distelfink,für den sie den Pulitzer-Preis erhielt, erschien 2013.

die-geheime-geschichte-donna-tarttIm Prolog wird bereits die weitere Handlung angelegt:

„Der Schnee in den Bergen schmolz, und Bunny war seit paar Wochen tot, ehe uns der Ernst unserer Lage allmählich dämmerte. […] Wir hatten nicht die Absicht gehabt, die Leiche an einem unauffindbaren Ort zu verstecken. Genau genommen hatten wir sie überhaupt nicht versteckt, sondern einfach liegengelassen, wo sie hingefallen war, in der Hoffnung darauf, daß irgendein Passant das Pech haben würde, über sie zu stolpern, ehe irgend jemand überhaupt gemerkt hatte, daß Bunny verschwunden war. […] Es fällt schwer zu glauben, daß es zu solch einem Aufruhr wegen einer Tat kam, für die ich teilweise mitverantwortlich war […].“ (S.9)

Die Geschichte wird aus der Sicht von Richard Papen erzählt, der als junger Student ans Hampden College kommt, froh, der Enge seiner kalifornischen Kleinstadt entfliehen zu können und voller Erwartung, was die Welt für ihn bereithalten möge. Er schließt sich einem kleinen Zirkel von Griechisch-Studenten an, die handverlesen und persönlich ausgewählt sind von Professor Julian Morrow. Sie sind nur zu sechst, Henry, der Musterschüler, der leicht autistische Züge trägt, Francis, der Junge aus reichem Hause, die Zwillinge Charles und Camilla (sic!), Edmund, genannt Bunny, und nun Richard. Für ihn ist diese Clique nach und nach ein Zuhause, ein Bezugspunkt, sie ermöglicht ihm ein Zugehörigkeitsgefühl, das er vorher nie erfahren hat. Verstärkt wird dies dadurch, dass Henry ihm das Leben rettet.

Bis hierhin kann man diesen Roman für einen ganz normalen Entwicklungs- oder Collegeroman halten. Doch da schwebt das Damoklesschwert vom Prolog über der Handlung, das von vornherein eine ganz besondere Atmosphäre verleiht. Die Gruppe hat sich, bevor Richard Eingang zu ihr gefunden hat, so in ihren besonderen Status und ihre Andersartigkeit hineingesteigert, dass sie als einzige mögliche Konsequenz für sich folgert, dass sie sich vollends wie ihre Studienobjekte verhalten müssen. So kommen sie auf die Idee, ein Bacchanal, welches eine – diesmal römische – Orgie ist, die zum Ziel hat, sich vollends von seinem Körper zu lösen, mit Hilfe von Alkohol und hallugenen Substanzen.

Bunny bringt nicht die notwendige Geduld auf, doch Henry, Francis, Charles und Camilla schaffen es. Aber es geschieht ein Unglück: Sie töten einen Farmer. Und nun beginnt die Spirale abwärts. Bunny, der nicht teilgenommen hat, ahnt bald, was geschehen ist. Er zieht die anderen damit auf, macht sie langsam aber sicher mürbe, da sie natürlich Angst haben, angezeigt zu werden. Bunny nimmt sie aus, und als sie kein Geld mehr haben, wollen sie fliehen, was misslingt, aber von Richard entdeckt wird. Nun ist auch er Teil der Verschwörung. Bunny wird zusehens paranoid, er hat Angst, dass auch ihm etwas zustößt. Und das ist genau das, was passiert…

Und ab hier wird die Geschichte zäh. Die Auswirkungen nach Bunnys Tod werden in epischer Breite und allen Einzelheiten beschrieben, besonders schön ist der Teil, in dem sie alle zu Bunnys Beerdigung bei seinen Eltern wohnen und sehr, sehr traurig sind. Das FBI ermittelt, und Charles muss seinen Kopf dafür hinhalten, er verfällt daraufhin dem Alkohol. Damit vergrault er seine Schwester, ja, inzestuös wirds auch noch, die mit Henry anbandelt, der damit nicht leben kann, und alles endet in einer Katastrophe.

Dieser Roman lässt einen zwiespältig zurück. Sprachlich ist er hervorragend, daran besteht überhaupt kein Zweifel. Doch die Aussage wird nicht ersichtlich. Soll er dem Stil einer griechischen Tragödie folgen, so ist dies wohl gelungen. Soll eine Art Katharsis stattfinden, so ist diese nicht leicht herauszuarbeiten. Wenn die Autorin sagen möchte, dass man keinen Mord begehen sollte, denn dies hat immer auf die ein oder andere Art Konsequenzen, so sollte man meinen, dass dies zum Allgemeinwissen gehört. Niemand kommt aus dieser Geschichte geläutert heraus, alle, die noch da sind, hängen am seidenen Faden. Für diese Einsicht braucht man jedoch keinen 500 Seiten umfassenden Roman.

Ich habe den Roman wirklich gerne gelesen, aber er hat mir auch einiges Kopfzerbrechen bereitet. Die Figuren kommen dem Leser nie wirklich nahe, sie sind Schablonen, die zwar interagieren, aber letztlich alle für sich allein kämpfen, was bei einer gemeinsam begangenen Tat natürlich verheerend ist. Es kommt aber eigentlich genau so, wie man es erwartet. Interessant wäre es gewesen, wenn ein unvorhersehbares Ende stattgefunden hätte, dann wären wir aber wohl nicht mehr bei der griechischen Tragödie gewesen. Aber die Katharsis bleibt aus.

Donna Tartt: Die geheime Geschichte. Aus dem Amerikanischen von Rainer Schmidt. Wilhelm Goldmann Verlag, 1993. 572 Seiten.