Ewald Arenz – Alte Sorten

Ewald Arenz hat mit „Alte Sorten“ einen ganz besonderen Roman geschrieben. Er handelt von einer Freundschaft zwischen zwei ungleichen Frauen, die beide ihr Leben außerhalb gesellschaftlicher Konventionen leben wollen und dabei ständig anecken.

Die junge Sally ist aus einem Heim abgehauen. Man sagt ihr, sie habe psychische Probleme und müsse in Behandlung sein, obwohl Sally einfach nur sie selbst sein will und nicht so, wie alle es von ihr erwarten. Wenn sie keinen Hunger hat, will sie nicht essen. Wenn sie keine Lust zu reden hat, redet sie nicht. Wenn sie kein Insta-taugliches Leben will, lebt sie dies nicht. Eigentlich ganz einfach. Nur verstehen die Erwachsenen das nicht.

Sie haut also ab, lässt ihr Handy zurück und geht, einfach immer weiter. Es wird Abend, sie überlegt, wo sie bleiben soll. Da trifft sie am Weg eine Frau mit einem Traktor, Liss. Die sieht sie an und fragt sie nur, ob sie mit anpacken könne, den festsitzenden Traktor zu befreien. Zusammen gelingt dies, und beide gehen ihrer Wege. Bis Liss anhält und Sally anbietet, auf ihrem Hof zu übernachten. Was Sally macht.

Eine stille Hausgemeinschaft entsteht, Sally schläft viel und kommt ein wenig zur Ruhe. Liss erklärt ihr das Leben auf dem Hof, die Hühnerhaltung, die Maschinen, die Bienen und die Birnen. Vor allem die Birnen, die eine besondere Verbindung zwischen den Frauen begründen.

Aber keine der beiden spricht über ihre Vergangenheit. Keine fragt. Jede lässt die andere in Ruhe und jede gibt nur preis, was sie möchte. Es entwickelt sich eine Freundschaft auf Augenhöhe. Bis Sallys Eltern sie finden und beinahe eine Katastrophe geschieht…

Mit Sally und Liss hat Ewald Arenz zwei ungewöhnliche Charaktere geschaffen, wie ich sie schon lange nicht mehr kennengelernt habe. War ich anfangs etwas besorgt, es könne sich um einen weiteren dieser modernen Heimatromane handeln, stellte sich schnell heraus, dass hier ein Roman über Freundschaft, Respekt und zwei starke Frauenfiguren vorliegt.

Diese beiden leben am Rande der Gesellschaft, können und wollen sich nicht einfügen, wollen nicht nach den Konventionen leben. Eine meint, den Kampf verloren zu haben, eine kämpft mit Klauen und Zähnen. Diese Entwicklung, wie die beiden sich ganz, ganz behutsam annähern, dabei Abstand halten, die andere sein lassen, diese Entwicklung habe ich atemlos verfolgt. Ich habe diesen Roman in drei Tagen inhaliert, und auch das nur, weil ich möglichst lange davon haben wollte.

Dies alles in der Umgebung eines Bergdorfes, mit Wäldern, Feldern und Weinbergen. Wo körperliche Arbeit getan werden muss, die jedoch auch eine Nähe zu sich selber mitbringt. Die die Frauen sich spüren lässt. In der jeder jeden kennt, und somit auch das Schicksal und die Ausgrenzung. Und in der diejenigen, die immer zu einem gehalten haben, kaum mit Gold aufzuwiegen sind. In der Traditionen Starre vorgeben, aber auch für Halt sorgen. Aus der man in die weite Welt fliehen will, die aber auch Geborgenheit verspricht.

Eine kleine Lobhudelei für einen für mich großen Roman. Ich möchte diese Geschichte über eine Frauenfreundschaft jeder und jedem ans Herz legen. Bei mir ist sie in die ewige Bestenliste eingezogen und heißer Kandidat für mein Buch des Jahres.

Ewald Arenz: Alte Sorten. DuMont Buchverlag, Köln 2019. 255 Seiten.

Rebecca Gablé – Teufelskrone

„Wenn Du einem König deine Freundschaft schenkst, läufst du immer Gefahr, an seinen Taten zu verzweifeln.“ (Klappentext)

Rebecca Gablé nimmt uns in ihrem neuesten Roman wieder einmal mit nach Waringham. Diesmal ist es Yvain, dessen Lebenslauf wir verfolgen, und die Zeit ist die von Richard Löwenherz und King John. Die Geschichte ist also ungefähr 100 Jahre vor den anderen Waringham-Romanen angesiedelt.

Yvains Vater hat für ihn einen bestimmten Lebensweg vorgesehen: Im Gegensatz zu seinem Bruder Guillaume, der einer der engsten Ritter von König Richard Löwenherz ist, soll er zu den Templern gehen. Auf seinem Weg dorthin begegnet er allerdings dessen Bruder, King John, und Yvains Templerkarriere endet in einem Wirtshaus. Seine Karriere als King Johns Knappe und späterer Ritter beginnt jedoch.

Man kennt viele Geschichten über die Brüder Richard und John, nicht zuletzt wegen der vielen Varianten von Robin Hood & Co., oftmals wird aber nicht klar, dass z.B. Robin Hood die Reichen ausraubt, weil England für Richard Löwenherz‘ Lösegeld bezahlen muss. John paktiert hier mit Philippe von Frankreich, um Richard zu stürzen und die Krone Englands zu übernehmen, da England ihm am Herzen liegt.

Nichtsdestotrotz ist bekannt, dass John ein unberechenbarer Typ war, jähzornig, brutal und uneinsichtig, und Yvain soll sein Leben lang damit ringen, seinem König ein guter Gefolgsmann zu sein. Teil einer jungen Truppe von Knappen, umgeben von Edelleuten, erkämpft sich Yvain einen Platz in Johns engstem Kreis, wird gar manchmal zu seinem Ratgeber.

Dies bezahlt er jedoch oft mit einem hohen Preis, von der Entscheidung zu heiraten, die ihm diktiert wird, bis zu seiner persönlichen Freiheit. Mit der Schuld, im falschen Moment am falschen Ort zu sein. Mit der Verantwortung für seine Familie und Lehnsleute. Vielleicht sogar mit seinem persönlichen Glück.

Und so leitet uns Rebecca Gablé einmal mehr durch die bewegte Geschichte Englands, die mit einem Kreuzzug beginnt und mit der ersten Magna Charta endet. Mit Yvain of Waringham und seiner Familie ist es ihr wieder einmal gelungen, Protagonisten zu erschaffen, die vielschichtig sind und reflektiert, die leiden und mit ihrem Schicksal hadern und dennoch Kinder ihrer Zeit sind, die dieses Schicksal als gottgegeben betrachten und deswegen nicht anders können, als sich zu fügen. Oder vielleicht doch?

Dass Rebecca Gablé es versteht, eine andere Welt auferstehen zu lassen und dies jedesmal genüsslich und detailreich umsetzt, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Ich freue mich genau deshalb über jeden neuen Roman, wird man doch von ihren Geschichten für eine Weile aus der Welt herausgezogen und in eine Art Parallelwelt geschickt, die lange vergangen und doch sehr gegenwärtig ist.

Dennoch war mir „Teufelskrone“ manches Mal ein wenig too much. Ich weiß, es war eine brutale Zeit, aber die Detailtreue bei all den grausigen Dingen, die sich die Menschen damals angetan haben, hätte ich nicht immer gebraucht. Ja, ich weiß, das gehört dazu. Auf jeden Fall habe ich diesen Schmöker wieder genossen, es war schön, wieder einmal in Waringham zu sein (und wenn man die weiteren Romane betrachtet, die alle ungefähr 50 Jahre auseinander liegen, wird einem auffallen, dass Frau Gablé sich noch einen Slot offen gelassen hat).

Ich danke Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar. Die Tatsache, dass es sich um ein Rezensionsexemplar handelt, hat meine Meinung in keiner Weise beeinflusst.

Rebecca Gablé: Teufelskrone. Bastei Lübbe AG, Köln 2019. 926 Seiten.

Frank Schätzing – Die Tyrannei des Schmetterlings

Vieles schon habe ich von ihm gelesen, angefangen mit seinem Historienroman „Tod und Teufel“ über den „Schwarm“ zu „Limit“. Nun also „Die Tyrannei des Schmetterlings“, Schätzings neuer, wieder sehr umfangreicher Roman, für den er sich in das Gebiet der künstlichen Intelligenz begibt.

Protagonist des neuen Romans ist Luther Opoku, Sheriff eines kleinen Countys in den USA, zweihundert Meilen vom Silicon Valley entfernt. Er wird zu einem Mord hinzugerufen, eine Mitarbeiterin der Nordvisc Inc., eines großen Internetunternehmens, wird tot aufgefunden. Er beginnt zu ermitteln. Diese Ermittlungen führen ihn zu einer geheimen Forschungsstation des Unternehmens, das jahrelang genau unter seiner Nase verborgen in den Wäldern seines Countys lag. Hier beginnt die nun die Wirklichkeit aufzubrechen…

Er wird freundlich aufgenommen bei Nordvisk, man beantwortet seine Fragen, ist besorgt um die Mitarbeiterin. Aber etwas scheint nicht so wie es sein sollte, und Luther kehrt zurück, nachdem er brisantes Material findet. Nun ist man nicht mehr so freundlich und hilfsbereit, er wird zum Gejagten. Als er über eine geheimnisvolle Brücke läuft, findet er sich in seinem Ort wieder. Same same but different. Etwas ist anders.

Er muss feststellen, dass er in einem Paralleluniversum gelandet ist, aber auch hier ein Gejagter ist. Er wehrt sich, findet Verbündete und Teilchen um Teilchen deckt er eine undenkbare Realität auf, die ihn in Dimensionen führt, die er sich vorher nicht einmal hat vorstellen können…

Frank Schätzing hat in seinem neuen Roman das Thema der Künstlichen Intelligenz aufgegriffen, und tut das gewohnt umfangreich, wobei er Virtual Reality, Paralleluniversen, Datamining, und was nicht noch alles in seine Story mit einbezieht. Das ist eine ganze Menge, da vieles Zukunftsmusik ist und manches Theorie, und mit dem Darstellen und Erklären könnte der Eine oder die Andere, wie ich auch, manchmal einige Probleme bekommen.

Dazu bedient sich Schätzing wieder einer sehr ausufernden Sprache, er nimmt sich viel Zeit, seinen Plot zu entwickeln, schafft es jedoch auch, ihn manchmal filmisch wirken zu lassen – also, sich die Szene entwickeln zu lassen und dann, wie in einem Actionfilm, die Handlung in den Zeitraffer zu werfen. Diese Teile lesen sich auch ratzfatz weg. Die anderen muss man mögen, das langsame Ausbreiten des Panoramas, die umfangreichen Erklärungen der handelnden Personen, die daraufhin manchmal nicht soo überraschenden Entwicklungen.

Ich bin ein wenig zwiegespalten. Ich mochte vor allem den „Schwarm“ sehr gerne, hat er mir doch damals eine Gedankenwelt eröffnet, die mir nicht präsent war, mich aber seitdem begleitet. Auch seine Landung auf dem Mond in „Limit“ habe ich gerne gelesen, obwohl ich mich auch hier an so einiges Langwierige erinnere. Hier nun war ich des Öfteren kurz davor, das Buch beiseite zu legen, da die Story nicht vorankam. Die ausschweifenden Beschreibungen sind meines auch nicht, ich hätte gerne etwas mehr Tempo gehabt.

Die Story jedoch hat mich interessiert, genug, um am Ball zu bleiben. Ich wollte wissen, worauf er hinauswill, ich wollte herausfinden, was es mit allem auf sich hatte, ich wollte sehen, wie es den (verschiedenen) handelnden Personen ergeht. So muss ich am Ende sagen, dass ich dieses Buch einigermaßen zwiegespalten beiseite lege.

Frank Schätzing: Die Tyrannei des Schmetterlings. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln. 2018. 734 Seiten.

Ich danke Kiepenheuer & Witsch für das Rezensionsexemplar. Meine Meinung wurde in keiner Weise beeinflusst.

Bettina Baltschev – Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur

Für Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur hat sich Bettina Baltschev auf die Spuren eines Verlages begeben, der 1933 von Emanuel Querido und Fritz Landshoff gegründet wurde. Querido, Amsterdamer Jude, und Landshoff, deutscher Flüchtling, wollten die deutschsprachige Literatur veröffentlichen, die die Nazis für verboten erklärt hatten, sie wollten all den anderen Exilanten eine Stimme geben.

Anhand ausgesuchter Plätze in Amsterdam (mit Foto!) erzählt Bettina Baltschev nun die Ereignisse, die zur Gründung des Querido Verlages führten, stellt die Personen vor und verfolgt die Geschichte des Verlages und somit die Geschichte der Exilanten. Nach einem Prolog im heutigen Amsterdam beginnt sie mit Amsterdam Centraal, der für die Ankunft Landshoffs in den Niederlanden steht. Er hatte bereits den Gustav Kiepenheuer Verlag in Berlin mitgeleitet, somit das Wissen und die Verbindungen zu vielen Autoren.Also wird er derjenige, der für die Autorenacquisition zuständig ist; er reist durch ganz Europa und verhandelt mit z.B. Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Anna Seghers oder Joseph Das Roth, die alle bei ihm veröffentlichen wollen.

Das Verlagsgebäude in der Keizersgracht 333, das Café Américain, Zandvoort, das Café Scheltema, das Concertgebouw, der Waterlooplein, Laren, die Hollandsche Schouwburg und der Spui sind die Orte, anhand derer Bettina Baltschev ihre Rekonstruktion der Ereignisse aufbereitet.

So lernen wir Emanuel Querido kennen, der schon ein erfolgreicher Verleger ist und sich nun einen Namen als internationaler Verleger machen möchte. Wir verkehren mit Klaus Mann, der ein enger Freund Landshoffs ist, im Café Américain, in dem sie viele weitere Exilanten trafen, sich mit ihnen berieten, sich von ihren Ängsten erzählten oder einfach nur schweigend tranken. Zandvoort, der nahe gelegene Strand, bringt ein paar Stunden oder Tage der Erleichterung vor der Angst, die ständig in ihrem Nacken saß.

Das Café Scheltema, exemplarisch ausgewählt für die Geschichte Joseph Roths, folgt. Danach folgen das Concertgebouw, das einer anderen Kunstform Platz gibt, und der Waterlooplein, der die Geschichte der Amsterdamer Juden verkörpert. Und wir begeben uns nach Laren, einem Ort in der Nähe Amsterdams, in dem Querido wohnt und viele Besucher empfängt.

Dann muss die Stimmung natürlich irgendwann kippen, und die Hollandsche Schouwburg wird zum „Theater des Grauens“, zur Sammelstelle der Amsterdamer Juden, von der aus sie in die Lager weitergeleitet werden. Anhand des Spui wird die Geschichte des Verlages nach dem Krieg weitererzählt, bis in die heutigen Tage.

Hölle und Paradies, ein wirklich gelungener Titel, denn beides muss Amsterdam für die Exilanten bedeutet haben. Paradies in den ersten Jahren, da man sich mehr oder weniger frei bewegen und seine Werke schreiben und veröffentlichen konnte. Amsterdam als liberale, offene Stadt bot eine Zuflucht an, als die Welt in ihrem Osten dunkel zu werden begann. Doch die Exilanten hatten die Dunkelheit in sich, konnten ihr nicht entfliehen. Bis auch Amsterdam zur Hölle wurde.

Baltschev schreibt ein Sachbuch, das sich wie ein Roman liest. Sie streut ihre heutigen Spaziergänge und die Lektüre ein, wodurch man sich ganz nah an der Stadt und den Ereignissen fühlt. Die vielen Zitate, vor allem aus den Briefwechseln der Exilanten, geben die Möglichkeit, sich ganz in die Geschehnisse hereinzuversetzen. Und so ist dieses Buch eine bittersüße Ode über eine dunkle Zeit, die mit einigen hellen Flecken gesprenkelt ist, an mutige Menschen und eine wundervolle Stadt.

Im Anhang gibt es noch eine von Bettina Baltschev verwendete Literaturliste und die Bücher, die im Querido Verlag veröffentlicht wurden. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich zwar von vielen der Schriftsteller gehört, aber noch erstaunlich wenig davon gelesen habe. Tatsächlich sind der Mephisto und Anna Seghers Transit und Das siebte Kreuz die einzigen echten deutschen Exilromane, die ich in meinem Regal gefunden habe. Oder zählen alle Romane von Schriftstellern, die im Exil waren, dazu? So wie Das Kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun, welches 1932 veröffentlicht wurde, sie ging jedoch 1933 ins Exil? Genau wie beim Radetzkymarsch von Joseph Roth? Oder Arc de Triomphe von Erich Maria Remarque, das 1946 veröffentlicht wurde, er aber wurde 1947 amerikanischer Staatsbürger?!

Genug Fragen also, um sich weiter mit dieser Literatur zu beschäftigen! Was ich auch tun werde, Bettina Baltschev sei dank!

Bettina Baltschev, geboren 1973 in Berlin, studierte Kulturwissenschaften, Journalistik und Philosophie in Leipzig und Groningen. Sie ist Autorin und Redakteurin beim Hörfunk der ARD und pendelt zwischen ihrem Wohnort Leipzig und ihrer zweiten Heimat Amsterdam. 2008 erschien „Ein Jahr in Amsterdam. Reise in den Alltag.“ (Herder) (Verlagsinformation)

Am 28. Juli und am 4. August veranstaltet Bettina Baltschev im Rahmen des Literarischen Sommers jeweils einen Spaziergang in Amsterdam, auf den Spuren ihres Buches. Ich hoffe, ich werde an einem der beiden Termine teilnehmen können!

Ich danke dem Berenberg Verlag ganz herzlich für die Überlassung eines Rezensionsexemplars!

Eine weitere Besprechung findet sich bei ZeichenundZeiten.

Bernhard Schlink – Olga

Als ich in der Vorschau den Klappentext zu diesem Roman las, wurde ich neugierig und bestellte ein Exemplar. Ich habe gedacht, es komme eine Geschichte von zwei Menschen, die im letzten Jahrhundert spielt und wie dieses Jahrhundert ihnen mitspielte und wie sie sich gemeinsam durchschlugen. Meine Erwartungen wurden nicht erfüllt.

Denn ich bekam eine vollkommen andere Geschichte als die erwartete. Schlink erzählt in Olga von einer Frau, die in eine schwierige Zeit geboren wird. Als Waise wächst sie bei ihrer Großmutter auf, die keine Liebe für sie hat. Ihre einzigen Freunde sind Herbert und Viktoria, großbürgerlich, die als Kinderfreunde ein Teil ihres Lebens werden, im Aufwachsen jedoch getrennte Wege gehen: Viktoria begibt sich vollkommen in ihren Stand, Herbert verliebt sich in Olga und möchte sie heiraten. Doch die Eltern verbieten es.

Gegen alle Widerstände geht Olga ans Lehrerinnenseminar und bekommt bald eine Stelle an ihrer alten Dorfschule. Von Viktoria verleumdet, von Herbert geliebt, baut sie sich ein Leben auf. Herbert liebt sie, aber er hat keine Ruhe, sich niederzulassen, er will die Welt sehen. Und so beginnen seine zahlreichen Reisen, die ihn immer weiter von Olga fort und doch immer wieder zu ihr zurück bringen. Bis er eines Tages nicht zurückkommt.

Olga gibt die Hoffnung nicht auf, auch als eine Bergungsexpedition nach der anderen zurückkehrt. Sie richtet sich in ihrem Leben ein, gewinnt neue Freunde, vor allem einen kleinen Nachbarsjungen namens Eik. Sie erzählt ihm von Herberts Abenteuern, und wie dieser die ganze Welt erobern wollte. Dabei wollte Olga immer nur eine kleine Welt, eine Welt für sich und Herbert. Sie schuf ein Heim, in das er zurückkehren konnte, unterstützte ihn aber auch in seinen Plänen, da sie ihn liebte.

Ja, Herbert, der gutmütige Herbert, er liebt Olga. Und er ist einer der größten Einfaltspinsel, von denen ich je las. Seine Träume von der großdeutschen Herrlichkeit, von Weite und Ruhm sind ein einziger Humbug. Olga jedoch liebt ihn und ist so froh, wenn er wieder einmal zu ihr zurückkehrt, dass sie keine Fragen stellt. Auch lange nach seinem Verschwinden nicht. Und so vergeht der Erste Weltkrieg, die Jahre dazwischen, bis der Zweite Weltkrieg sie schließlich zwingt, nach Süddeutschland zu fliehen.

Sie ist taub geworden und arbeitet nun als Näherin. So wird sie zur Verbündeten eines anderen kleinen Jungen, der ihre Hilfe braucht und bekommt. Sie wird für ihn zur wichtigsten Ansprechperson, die sein Leben nicht unwesentlich formt…

Dies alles hört sich bruchstückhaft an, aber ich wollte genügend Leerstellen lassen, damit sich potentielle Leser finden und diesen Roman ebenso lieben lernen wie ich nun. Denn als ich mich erstmal von meinen Erwartungen verabschiedet hatte (ja, es dauerte eine Weile), konnte ich das Buch nicht mehr aus der Hand legen und las atemlos weiter, fast in einem durch.

Denn Schlink hat der Erzählerstimme eine große Zartheit in seinem Bericht über Olga gegeben, sehr viel Liebe hineingelegt. Der Erzähler berichtet in Etappen von Olga, von ihrem Leben mit Herbert und wie es vor den Kriegen war, und ihrem anderen Leben danach. Ergänzend werden am Ende Briefe von Olga an Herbert eingebracht, die einige Lücken füllen. Und so entfaltet sich nach und nach der Lebensbericht über eine außergewöhnliche Frau, die nie im Rampenlicht stand und nie Großes entdeckt oder vollbracht hat.

Die aber eine erstaunliche Emanzipation vollzieht. Und auch wenn ich mir etwas mehr Geschichte und die beiden letzten Seiten hinweggewünscht hätte, bleibt mir nur zu sagen: Olga ist keine strahlende Heldin, sie ist eine stille, im Hintergrund leuchtende Heldin. Oder nein, eher so: strahlt sie vielleicht nicht vor der Geschichte, so strahlt sie im Leben des Erzählers. Und nun auch in meinem.

Bernhard Schlink: Olga. Diogenes Verlag AG Zürich, 2018. 311 Seiten.

Ich dank dem Diogenes Verlag für das Rezensionsexemplar.

Rebecca Gablé – Die Fremde Königin

Der neue Roman von Rebecca Gablé, Die Fremde Königin, ist der zweite Teil zur deutschen Geschichte, nach Das Haupt der Welt. Er schließt im Jahre 951 an, ca. zwanzig Jahre nach den Geschehnissen des vorherigen Romans.

„Wenn Ihr leben wollt, müsst Ihr graben“, raunte der Mönch in dem ausgefransten, staubigen Habit.

Adelheid blickte nicht auf und ging weiter zur Kapelle, ohne ihren Schritt zu verlangsamen. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass der Mönch seinen Weg in entgegengesetzter Richtung fortsetzte – nicht hastig, nicht gemächlich, aber würdevoll, so wie Mönche eben gingen. Sie wusste trotzdem, dass dieser Mann nicht war, was er zu sein vorgab.

So wie alle Männer in ihrem Leben.“ (13)

Dies sind die ersten Sätze. Adelheid von Burgund, Königin von Italien, wird von einem Widersacher festgehalten, der sie zwingen will, seinen Sohn zu heiraten, um diesen so zum König zu machen. Adelheid weigert sich, weiß jedoch nicht, wie lange sie noch durchhält, ist doch ihre Tochter mitgefangen. Und so nimmt sie den Rat des Mönches an und gräbt. Es folgt eine abenteuerliche Flucht, die sie schließlich an den Hof König Ottos führt. Sie wird seine Frau.

 

Gaidemar, Adelheids Fluchthelfer, ist als Bastard aufgewachsen und weiß nicht, wer seine Eltern waren. Er genoß eine gute Ausbildung und ist nun Mitglied der Panzerreiter, einer Elitetruppe im Heer König Ottos. Ihre gemeinsame Flucht schweißt die beiden zusammen, und er wird Adelheids wichtigster Berater. Doch seine Liebe zu ihr muss er verbergen.

Es ist eine unruhige Zeit, immer wieder versuchen innere und äußere Feinde, König Otto vom Thron zu stoßen oder ihm Teile seines Königreichs abzujagen. Die Ungarn fallen von außen über das Reich her, doch auch im Inneren brodelt es, auch in König Ottos engstem Umfeld werden Intrigen gegen ihn und die seinen gesponnen, die nicht selten mit dem Leben bezahlt werden…

Rebecca Gablé hat mit Die Fremde Königin ein weiteres Mal bewiesen, dass sie ihr Handwerk versteht. Die von meiner Seite lang erwartete Fortsetzung zur deutschen Geschichte (der vorige Roman war ja wieder ein Waringham), schließt nicht unmittelbar an, wo die Geschichte aufhörte, und auch die Personen kommen nur am Rande vor. Wieder entwirft sie jedoch ein opulentes Bild davon, wie es gewesen sein mag, und man kann sich die Welt von damals durchaus so vorstellen.

Und was kann die Frau Schlachten schreiben! Auch hier liest man wieder atemlos, wie die Heere aufeinandertreffen, wie eng Sieg und Niederlage beieinanderliegen und oft gar nicht zu unterscheiden sind. Szenen wie diese haben mich aber diesmal dafür entschädigen müssen, dass ich nie so richtig Zugang zu den Figuren fand. Ich fieberte und litt nicht mit wie damals mit Tugomir, hoffte nicht so, bangte nicht so. Das tut mir immer sehr leid bei einem großen Unterhaltungsroman, der meiner Ansicht nach ja genau davon lebt.

Aber wie immer hat Rebecca Gablé natürlich genau das hingelegt: einen weiteren großen historischen Unterhaltungsroman, der Geschichte so schreibt, wie sie gewesen sein könnte. Sie recherchiert ihre Romane akribisch und die Beschreibungen der Gegebenheiten – sei es Landschaft, sei es Gebäude – vermag sie immer in die damalige Zeit zu transferieren.

Diese historischen Romane sind in meiner Familie so etwas wie Wanderpokale, jeder Gablé wird ebenso wie jeder Follett von einer Hand in die nächste gereicht. Ich belasse es normalerweise bei diesen beiden, habe dieses Jahr aber somit den Jackpot von insgesamt ca. 2000 Seiten gezogen (die Besprechung vom Follett folgt in Kürze). Und auch wenn Die Fremde Königin bei mir nicht so punkten konnte wie Das Haupt der Welt, habe ich mich doch gerne wieder auf ihre Sicht der damaligen Zeit eingelassen und angenehme Lesestunden verbracht. Ich hoffe, sie wird die Reihe weiterführen, denn es folgt ja noch einiges an interessanten Dingen – ich sage nur Barbarossa.

Eines ist mir jedoch bitter aufgestoßen, und das ist das Nachwort. Ich finde es erschreckend und verstörend, dass eine Autorin historischer Romane sich davon distanzieren muss, von bestimmten Gruppen vereinnahmt zu werden. Sie schreibt über einen König, der ein großes Reich unter sich hatte, was anscheinend von nationalistischen Wirrköpfen dazu missbraucht wird, als Beleg für die Überlegenheit des deutschen Volkes zu dienen. Mir wäre dieser Gedanke mal wieder nicht im entferntesten gekommen, dienen solche Romane für mich doch zur Unterhaltung, die mir ein paar historische Fakten liefert zusammen mit einem Bild, wie es gewesen sein könnte. Nicht mehr und nicht weniger. Ich hoffe, Frau Gablé lässt sich sich nicht davon abschrecken und schreibt diese Reihe weiter, damit sich um so mehr Menschen ein eigenes Bild machen und eine eigene Meinung bilden können – oder zumindest einen Ansatz dazu finden.

Rebecca Gablé: Die Fremde Königin. Bastei Lübbe AG, Köln, 2017. 763 Seiten.

Hier geht es zu der Besprechung von Der Palast der Meere von Rebecca Gablé.

Bernhard Blöchl – Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint

Wenn im Leben mal viel los ist, was den Kopf nicht so ganz in Ruhe lässt, ist es manchmal etwas schwierig mit sperriger Lektüre. Dann kann eines dieser Feel-Good-Bücher helfen, eine Story, die mit Irrungen und Wirrungen spielt, bei der man aber doch immer weiß, wohin sie führen wird, ein Pendant zu einer RomCom.

Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint ist eines dieser Bücher. Die Story handelt von Knoppke, einem Mann in seinen Vierzigern, der sich und sein Leben aufgegeben hat. Er arbeitet bei einer Security-Firma, was bedeutet, dass er Fußballspiele mit dem Rücken sieht. Seine Freundin sieht er auf dem Rücken liegen, aber unter jemand anderem. Und da platzt ihm der Kragen. Er setzt sich in seinen Fast-Bulli, lässt sein Fast-Leben hinter sich und fährt los. Sein Ziel: die Highlands, wo er auf Ruhe hofft.

Er ist noch nicht weit gekommen, als sich Sam, Anfang zwanzig, von ihm absolut ungewollt zu ihm gesellt. Doch alles Sträuben nützt Knoppke nichts, Sam ist da und bleibt. Und so machen sich die beiden auf den Weg, Richtung Schottland. Und eine Geschichte mit buchstäblich vielen Höhen und Tiefen nimmt ihren Lauf. Ob der knorrige Knoppke und die lebenslustige Sam sich am Ende zusammenraufen und welche Erkenntnisse auf ihrem Weg auf die beiden warten, das mag jeder für sich herausfinden.

Als ich bei Birgit von Sätze&Schätze von diesem Roman las, dachte ich mir schon, dass er was für mich sein könnte, wenn ich meine Gedanken nicht ganz so fokussiert bekomme. Ein Unterhaltungsroman, ein Road Movie, jemand, der nach Antworten sucht? Aber bitte, her damit!

Und ich bin gut unterhalten worden. Es waren vielleicht einige Hin- und Hers zu viel, und auch die Sprache war nicht ganz meine Kragenweite in dem Sinne, dass es manchmal vielleicht etwas zu ausschweifend für mich persönlich war – aber darum geht es ja nicht. Es geht darum, abschalten zu können, in einen Roman einzutauchen, der einen schmunzeln lässt und vielleicht sogar das ein oder andere Mal zum Nachdenken anregt. Das ist Bernhard Blöchl hier gelungen. Und manchmal ist das ja auch genau richtig bzw. das, was man gerade braucht. Wer also etwas gute Unterhaltung braucht, ist hier an der richtigen Adresse.

Bernhard Blöchl: Im Regen erwartet niemand, dass dir die Sonne aus dem Hintern scheint. Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2017. 272 Seiten.

Ich danke dem Piper-Verlag für das Rezensionsexemplar.

Bild: Alexandra Pilz via piper.de

Bernhard Blöchl, Jahrgang 1976, ist Autor und Journalist aus München. Als Redakteur der Süddeutschen Zeitung befasst er sich mit Kultur in München und Bayern, seine Themen sind Film, Literatur und Pop- Blöchl schreibt Unterhaltungsromane und betreibt unter lieblingssaetze.de ein virtuelles Museum der schönen Sätze. (Klappentext)