Literarischer Sommer: Ein literarischer Spaziergang durch Amsterdam mit Bettina Baltschev

Es war ein heißer Sommertag am 3. August, als ich mich morgens in den Zug setzte und Richtung Amsterdam fuhr. Ein literarischer Spaziergang durch Amsterdam stand an, geleitet von Bettina Baltschev, die uns einige der Orte zu ihrem Buch Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur zeigen wollte. Ich kam früh an, da ich noch einige andere Dinge ansehen wollte, und hatte also schon einiges in den Beinen, als wir uns um 13 Uhr am Bahnhof trafen.

Das ehemalige Hotel Eden, in dem Joseph wohnte, wenn er in Amsterdam weilte

Eine schöne Gruppe hatte sich versammelt, und auch wenn ich den Altersdurchschnitt doch ein wenig herabsenkte, waren alle mit viel Neugier und Enthusiasmus dabei. Die Wasserflaschen in der Hand, die Sonnenhüte auf dem Kopf, marschierten wir los, zu unserem ersten Anlaufpunkt, dem ehemaligen Hotel Eden, das damals Joseph Roth beherbergte und heute ein Restaurant, dessen Kellnerin uns schnell des Platzes verwies – wir würden die Gäste stören. Nun in der Gasse stehend, umgeben von laut brummenden Klimaanlagen und unterbrochen von lauter Touristen, erzählte Bettina Baltschev uns von Joseph Roth, dessen Trinkerkarriere in Amsterdam einen rasanten Höhepunkt hatte. Besonders schön fand ich jedoch, dass das Hotel damals einen eigenen „Shuttleservice“ besaß, ein Boot, das die Gäste über den Damrak setzte, damit sie nicht so weit laufen mussten, um in die Innenstadt zu gelangen. Heute liegt dort ein Sightseeingtouriboot neben dem anderen, keine Spur mehr von solch noblen Hotelservices.

Bücherreihen im Antiquariat Kok, kleiner Ausschnitt

Weiter führte der Weg zum Antiquariat Kok, jener Traum eines jeden Bibliophilen, in dem man neben Unmengen an antiquarischen Büchern auch wunderschöne Karten bekommen kann, und eben auch immer noch Ausgaben der Bücher, die der Querido Verlag herausbrachte. Es kostete nicht nur mich einiges, der Versuchung zu widerstehen und, statt wieder hinaus in die Hitze zu marschieren, einfach dort zu bleiben und den Rest des Tages zu stöbern.

Oudemanstoren, ein ehemaliges Altersheim für gutsituierte alte, ledige Männer

Doch weiter ging es, durch das Rotlichtviertel, das sich langsam mit Touristen füllte, mit Kamikazeradfahrern, die um einiges geübter und skrupelloser sind als man das hierzulande kennt und den üblichen Booten, deren Vorträge zu uns herüberwehten.

Innenhof eines Teil der Amsterdamer Universität – hier kann man schon etwas Zeit mit einem Buch verbringen

 

So gelangten wir zum Oudemanstoren, einem ehemaligen Altersheim für gut situierte ledige Männer, wo heute aber auch Bücherläden beheimatet sind – wieder eine große Versuchung, die den festen Vorsatz, später wiederzukommen, nach sich zog. Wir aber folgten Bettina Baltschev in einen Innenhof, der Teil der Amsterdamer Universität ist und zu einer kleinen Rast einlud.

Hier verweilten wir unter einem Baum, der uns großzügig Schatten spendete und Bettina Baltschev erzählte die Geschichte des Verlags und all der Menschen, die mit ihm verbunden waren, weiter. Mit neuer Kraft gingen wir dann den Rest des Weges an.

Ist diese Stadt nicht wunderschön?!

Weiter ging es, vorbei an wunderschönen Grachten und durch enge Gässchen, wir machten einen Abstecher zu einem dieser Cafés, in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint (ich habe leider kein Foto gemacht, aber wer schon einmal in Amsterdam war, wird sicher eine Idee haben, wie es dort aussieht) und gingen weiter Richtung Spui. Es hatte mich bei der Ankündigung, der Spaziergang sei um einen Tag vorverlegt worden, schon jubeln lassen, denn Freitag ist Boekenmarkttag auf dem Spui, und bei dem herrlichen Wetter stand der Platz voll mit Bücherständen. Mental note: come back later.

Keizersgracht 333, der Ort, an dem alles begann und (für mich zumindest) der Kreis schloss

Der Weg führte uns nun in die Keizersgracht, wo es endlich ein wenig ruhiger war als in der hektischen, betriebsamen und an diesem Tag scheinbar besonders lauten Stadt (sie bereitete sich auf die Canal Pride vor, bei der die Pride Parade auf Booten stattfindet). Nun, an diesem vorletzten Haltepunkt, schloss Bettina Baltschev den Kreis, indem sie uns zeigte, wo alles begann. Der Endpunkt sollte das Café Scheltema sein, wo die Gruppe etwas trinken wollte, ich mich aber verabschiedete, da es doch schon recht spät geworden war und mich der Spui lauthals rief, doch zu ihm zurückzukehren. Wer bin ich, da nein zu sagen?!

 

Teil des Kunstwerks Een vertaling van de ene taal in de andere (A Translation from one language to another) von Matthew Weiner auf dem Spui

Es war eine sehr schöne, wenn auch (bei der Hitze) sehr anstrengende Tour, und ich denke, nicht nur ich, sondern die ganze Gruppe ist auf ihre Kosten gekommen. Viele Fragen wurden gestellt und von Bettina Balstschev mit großem Sachverstand beantwortet, und man konnte sich doch so einige Male ein wenig vorstellen, wie es Anfang der 30er Jahre in dem damals sicher auch schon wimmeligen, aber nicht mit diesem Tag zu vergleichenden Amsterdam gewesen ist. Mir hat der Spaziergang eine wundervolle Ergänzung zum Buch gegeben, was man ja auch nicht oft bekommt, und ich würde jederzeit wieder mitspazieren. Tatsächlich bin ich sehr traurig, dass der nächste Spaziergang am 1.9. ausgebucht ist, der zu verschiedenen Schauplätzen großer Romane führt – nächstes Jahr gibt es hoffentlich eine neue Chance!

Ich danke dem Team des Literarischen Sommers für die freundliche Zusammenarbeit. Der Artikel gehört auch zu meinem nederlandstalig!-Projekt.

 

Bettina Baltschev – Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur

Für Hölle und Paradies. Amsterdam, Querido und die deutsche Exilliteratur hat sich Bettina Baltschev auf die Spuren eines Verlages begeben, der 1933 von Emanuel Querido und Fritz Landshoff gegründet wurde. Querido, Amsterdamer Jude, und Landshoff, deutscher Flüchtling, wollten die deutschsprachige Literatur veröffentlichen, die die Nazis für verboten erklärt hatten, sie wollten all den anderen Exilanten eine Stimme geben.

Anhand ausgesuchter Plätze in Amsterdam (mit Foto!) erzählt Bettina Baltschev nun die Ereignisse, die zur Gründung des Querido Verlages führten, stellt die Personen vor und verfolgt die Geschichte des Verlages und somit die Geschichte der Exilanten. Nach einem Prolog im heutigen Amsterdam beginnt sie mit Amsterdam Centraal, der für die Ankunft Landshoffs in den Niederlanden steht. Er hatte bereits den Gustav Kiepenheuer Verlag in Berlin mitgeleitet, somit das Wissen und die Verbindungen zu vielen Autoren.Also wird er derjenige, der für die Autorenacquisition zuständig ist; er reist durch ganz Europa und verhandelt mit z.B. Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Arnold Zweig, Anna Seghers oder Joseph Das Roth, die alle bei ihm veröffentlichen wollen.

Das Verlagsgebäude in der Keizersgracht 333, das Café Américain, Zandvoort, das Café Scheltema, das Concertgebouw, der Waterlooplein, Laren, die Hollandsche Schouwburg und der Spui sind die Orte, anhand derer Bettina Baltschev ihre Rekonstruktion der Ereignisse aufbereitet.

So lernen wir Emanuel Querido kennen, der schon ein erfolgreicher Verleger ist und sich nun einen Namen als internationaler Verleger machen möchte. Wir verkehren mit Klaus Mann, der ein enger Freund Landshoffs ist, im Café Américain, in dem sie viele weitere Exilanten trafen, sich mit ihnen berieten, sich von ihren Ängsten erzählten oder einfach nur schweigend tranken. Zandvoort, der nahe gelegene Strand, bringt ein paar Stunden oder Tage der Erleichterung vor der Angst, die ständig in ihrem Nacken saß.

Das Café Scheltema, exemplarisch ausgewählt für die Geschichte Joseph Roths, folgt. Danach folgen das Concertgebouw, das einer anderen Kunstform Platz gibt, und der Waterlooplein, der die Geschichte der Amsterdamer Juden verkörpert. Und wir begeben uns nach Laren, einem Ort in der Nähe Amsterdams, in dem Querido wohnt und viele Besucher empfängt.

Dann muss die Stimmung natürlich irgendwann kippen, und die Hollandsche Schouwburg wird zum „Theater des Grauens“, zur Sammelstelle der Amsterdamer Juden, von der aus sie in die Lager weitergeleitet werden. Anhand des Spui wird die Geschichte des Verlages nach dem Krieg weitererzählt, bis in die heutigen Tage.

Hölle und Paradies, ein wirklich gelungener Titel, denn beides muss Amsterdam für die Exilanten bedeutet haben. Paradies in den ersten Jahren, da man sich mehr oder weniger frei bewegen und seine Werke schreiben und veröffentlichen konnte. Amsterdam als liberale, offene Stadt bot eine Zuflucht an, als die Welt in ihrem Osten dunkel zu werden begann. Doch die Exilanten hatten die Dunkelheit in sich, konnten ihr nicht entfliehen. Bis auch Amsterdam zur Hölle wurde.

Baltschev schreibt ein Sachbuch, das sich wie ein Roman liest. Sie streut ihre heutigen Spaziergänge und die Lektüre ein, wodurch man sich ganz nah an der Stadt und den Ereignissen fühlt. Die vielen Zitate, vor allem aus den Briefwechseln der Exilanten, geben die Möglichkeit, sich ganz in die Geschehnisse hereinzuversetzen. Und so ist dieses Buch eine bittersüße Ode über eine dunkle Zeit, die mit einigen hellen Flecken gesprenkelt ist, an mutige Menschen und eine wundervolle Stadt.

Im Anhang gibt es noch eine von Bettina Baltschev verwendete Literaturliste und die Bücher, die im Querido Verlag veröffentlicht wurden. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich zwar von vielen der Schriftsteller gehört, aber noch erstaunlich wenig davon gelesen habe. Tatsächlich sind der Mephisto und Anna Seghers Transit und Das siebte Kreuz die einzigen echten deutschen Exilromane, die ich in meinem Regal gefunden habe. Oder zählen alle Romane von Schriftstellern, die im Exil waren, dazu? So wie Das Kunstseidene Mädchen von Irmgard Keun, welches 1932 veröffentlicht wurde, sie ging jedoch 1933 ins Exil? Genau wie beim Radetzkymarsch von Joseph Roth? Oder Arc de Triomphe von Erich Maria Remarque, das 1946 veröffentlicht wurde, er aber wurde 1947 amerikanischer Staatsbürger?!

Genug Fragen also, um sich weiter mit dieser Literatur zu beschäftigen! Was ich auch tun werde, Bettina Baltschev sei dank!

Bettina Baltschev, geboren 1973 in Berlin, studierte Kulturwissenschaften, Journalistik und Philosophie in Leipzig und Groningen. Sie ist Autorin und Redakteurin beim Hörfunk der ARD und pendelt zwischen ihrem Wohnort Leipzig und ihrer zweiten Heimat Amsterdam. 2008 erschien „Ein Jahr in Amsterdam. Reise in den Alltag.“ (Herder) (Verlagsinformation)

Am 28. Juli und am 4. August veranstaltet Bettina Baltschev im Rahmen des Literarischen Sommers jeweils einen Spaziergang in Amsterdam, auf den Spuren ihres Buches. Ich hoffe, ich werde an einem der beiden Termine teilnehmen können!

Ich danke dem Berenberg Verlag ganz herzlich für die Überlassung eines Rezensionsexemplars!

Eine weitere Besprechung findet sich bei ZeichenundZeiten.