Buch #23: A.L. Kennedy – Alles was du brauchst

Puh, ich habe mich durchgekämpft. Durch fast 600 Seiten andauerndes Selbstmitleid. Und, wie einige vielleicht schon bemerkt haben, es hat mich einiges an Zeit gekostet. Und Nerven. Und guten Willen.

Alles was du brauchst  ist die Geschichte von Mary Lamb und Nathan Staples. Mary wurde als kleines Mädchen von ihrer Mutter zu ihrem schwulen Bruder gebracht; er und sein Partner haben sie liebevoll aufgezogen und ihr ein gutes Zuhause gegeben. Nun ist Mary anfang zwanzig und möchte Schriftstellerin werden.

Sie erhält ein Stipendium, um alles, was sie hierfür braucht, zu lernen. Auf einer kleinen Insel, die mit ihr von sieben Leuten bewohnt ist. Sechs Schriftsteller, die sich „finden“ sollen, und einer, der über sie wacht. Einer dieser Schriftsteller ist Nathan Staples, ihr Vater.

Mary weiß nicht, dass Nathan ihr Vater ist, im Gegenteil, sie hat ihr Leben lang geglaubt, er sei tot. Und Nathan nimmt sie jetzt unter seine Fittiche, als „väterlicher Freund“ und Mentor, aber er sagt ihr nicht, wer er ist. So folgt man ihrer beider Weg, mal aus ihrer, mal aus seiner Perspektive, über sieben Jahre hinweg.

Es passiert nicht viel in diesem Buch. Natürlich gibt es ein paar Ereignisse; diese handeln jedoch zumeist vom Tod. Nathans Freund und Lektor Jack beispielsweise, stirbt und hat einen letzten Wunsch an Nathan: er wird Forschungsobjekt für Studenten, und Nathan soll kommen und ihn dort sehen.

Es sind eine Menge Kleinigkeiten, die das Leben der Inselbewohner bestimmen. Und all diese Kleinigkeiten werden uns hauptsächlich durch ihre Gedanken mitgeteilt. Wir bekommen daher eine subjektive Sicht auf ihre Welt.

Bei Mary ist das im Grunde genommen eine Coming-of-Age-Geschichte, sie wird von einem unbedarften Mädchen zu einer selbstbewußten jungen Schriftstellerin. Bei Nathan ist die Sache etwas anders. Er hadert mit seinem Leben. Mit Maura, Marys Mutter, die ihm die Tochter nahm, mit Jack und dem Literaturbetrieb, der Jack zugrunde richtet und Nathan nur noch abstößt, mit den anderen Bewohnern der Insel, die ihn mögen, was er aber nicht akzeptieren kann.

Aber letztlich hadert er doch am meisten mit sich selbst. Endlose Selbstgespräche und Gedankengänge zeigen uns, dass er vollkommen unzufrieden mit sich und seinem Leben ist. Aber er geht nicht hin und versucht, etwas zu ändern, er bleibt auf seiner Insel sitzen und spielt Gedankenspielchen à la „Oh nein, das war das falsche Wort, was soll sie jetzt nur von mir denken?“ oder „Ich hätte das nie sagen sollen, jetzt spricht sie nie wieder ein Wort mit mir“ und so weiter…

Dies alles ist sehr anstrengend. Man kann Nathan verstehen, sein Leben hat eine falsche Abbiegung genommen, und er kommt nicht hinterher, zu verstehen, sich anzupassen, es in neue Bahnen zu lenken. Aber dennoch geht er einem irgendwann fürchterlich auf die Nerven. Man möchte ihn schütteln und sagen „Mach was, lass Dich nicht so hängen! Denke auch mal an die Menschen, die dich so lieben, wie du bist, und nicht nur an die Frau, die dich vor Jahren verlassen hat!“ Aber nichts anderes tut er.

Hinzu kommen noch einige merkwürdige Methoden, die sich die Gruppe ausgedacht hat, um „sich selbst zu finden“, um mit sich ins Reine zu kommen. Zum Beispiel glauben sie, wenn man sieben Mal dem Tod von der Schippe gesprungen ist, habe man ein Level erreicht, das einem inneren Frieden und Erleuchtung verspreche. Nun ja, sie versuchen es, allen voran Nathan. Aber die erhoffte Erleuchtung oder der innere Frieden bleiben aus.

Interessant fand ich allerdings die Schilderung des Schreibprozesses, oder den Blick in den Kopf eines Schriftstellers. Was diese Menschen aufgeben, wie sie leben, um ihrer Berufung nachzugeben, und dass dies oft kein Zuckerschlecken ist. Dass es harte Arbeit ist, nicht, wie manche vielleicht denken mögen, ein Geniestreich. Diese Passagen haben mich zum Teil ziemlich beeindrucht und nachdenklich werden lassen. Ein Beispiel:

„Joe findet es ungeheuer amüsant, daß mich mein Gedächtnis für Worte an Wahrheit glauben läßt. Aber so ist es tatsächlich. Ich glaube an das universelle Menschenrecht auf Wahrheit. Und wenn ich draußen in der Welt bin, dann weiß ich, daß ich ein Passagier bin und kein Kunde; ein Patient und kein Klient; ein Mensch, kein Verbraucher. Ich möchte nicht informiert, ich möchte gebildet werden, ich möchte keinen Support, ich möchte Hilfe, und ich möchte nichts Neues, ich möchte etwas Besseres, und ich möchte keine breit gefächerte Auswahl, ich möchte Freiheit.“

Dies sind Gedanken, die ich unbedingt unterschreibe. Und alle, die mit Worten spielen, mögen sich ein Beispiel daran nehmen.

Insgesamt ist es ein langsames, athmosphärisches Buch, das sehr eindringlich ist in seiner Beschreibung des Landes und der Leute, ihren Empfindungen und Gedanken. Aber es ist auch geprägt von Fortschritt (Mary) und Stillstand (Nathan), und damit konnte ich nicht immer etwas anfangen.