Buch #34: Jack Kerouac – On the Road (Die Urfassung)

Warnung!

Bitte lesen Sie nicht weiter, wenn Sie völlig zufrieden damit sind, einfach nur zu leben.

Bitte lesen Sie nicht weiter, wenn Sie sich für nichts wirklich begeistern können.

Bitte lesen Sie nicht weiter, wenn Sie sich über nichts wirklich aufregen können.

Bitte lesen Sie nicht weiter, wenn Sie eine menschliche Amöbe sind, essen, verdauen, arbeiten, sich beschallen lassen und es für das höchste der Gefühle halten, einen neuen Wagen, einen neuen Flachbildschirm, ein neues Handtelefon oder etwas Ähnliches zu besitzen. Und die Sicherheit des voraussehbaren Morgen, und Übermorgen usw.

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Denn dann wird Ihnen dies hier nichts sagen. Dieser Text, der laut Legende an 22 Tagen, genau genommen zwischen dem 2. und dem 22. April 1951, entstand, auf einer einzigen langen Rolle Papier, ohne einen Absatz geschrieben, wird Ihnen vorkommen wie ein verrückter Hipster, der sich nicht in die Gesellschaft eingliedern will. Der nicht akzeptieren kann, Teil eines in Konformismus erstarrten Systems zu sein, der nichts von Homogenität und Konsens hält, sondern „mehr“ vom Leben erwartet. Was dieses „mehr“ ist? Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber um die Suche nach diesem „mehr“, diesem „ES“, geht es in On the Road. Die Urfassung nennt alle Personen bei ihren richtigen Namen, nicht wie in der ersten Buchfassung. So haben wir also Jack Kerouac, der von Neal Cassady hört, und dieser kommt ihm vor wie „a dream come true“. Dieser Neal ist angeblich der durchgeknallteste, furchtloseste Typ, ein Typ, der macht, was ihm gerade in den Sinn kommt, der sein eigenes Leben in den Vordergrund stellt, seine Gefühle, die glücklichen Momente ebenso wie die unglücklichen, alles kostet er aus, dieser Neal, alles saugt er in sich auf. Jack Kerouac erzählt nun von seinen Reisen mit Neal, der immer unterwegs ist, immer auf der Suche. Wir fahren mit ihnen von der Ost- an die Westküste und zurück, trampen, machen Halt, überführen Wagen, fahren diese oder selbst gekaufte Wagen zu Schrott im Bemühen, uns möglichst schnell fortzubewegen, wir fahren Zug oder Überlandbus, kurz, wir sind immer auf der Straße. Wir ver- und entlieben uns, für eine Stunde, einen Tag, eine Lebenszeit, Personen kommen und gehen, begleiten uns ein Stück des Weges, ein Lied lang, eine Stunde, eine Nacht, eine Woche, sie verschwinden und tauchen wieder auf, ständig ist alles in Bewegung. Neal ist verheiratet mit Louanne, die er verlässt, zu der er zurückkehrt, die die einzige Frau zu sein scheint, die ihn zu verstehen mag und teilweise an dem Vagabundenleben teilhat. Dann wieder schmeißt sie ihn raus, läßt sich scheiden, konkurriert mit der neuen Frau an Neals Seite, gewinnt ihn zurück. Auch die Beziehung ist immer in Bewegung. Auf unserem Trip treffen wir Allen Ginsberg, Verfasser des legendären „Howl“, der eine Liaison mit Neal hatte. Wir treffen Bill Burroughs, den Verfasser von Naked Lunch und verfolgen seine Trips. Wir begegnen Hobos, Pennern, Gelegenheitsarbeitern, kurz, dem „Aussatz“ Amerikas, die hier allzu menschlich werden. Wir haben großartige Momente mit Musikern, die in ihrer Melodie aufgehen und „ES“ fast finden und an ihr Publikum weitergeben, wir hören unglaublich dumme und unglaublich tolle Sätze. Wir fliegen hoch und fallen tief. Wir werden enttäuscht, wir entzweien uns von Neal, wir sehen ihn wieder und geraten erneut in seinen Bann. Wir fahren und fahren, wir leben. Und über allem das Land, das großartige, erschütternd schöne und ebenso schreckliche Land, das oft weh tut, vor Schönheit, vor Ekelhaftigkeit. Wir pfeifen auf das, was die Gesellschaft erwartet, und wünschen es uns doch manchmal. Kurz davor springen wir aber wieder auf und düsen ab. Neues zu entdecken. „ES“ zu finden. Wir hören nächtelang Neals Erzählungen zu, wie er sich über banalste Dinge begeistern kann, wie er jede Einzelheit einer Begegnung wiedergibt, wie er uns totquatscht und uns mitreißt, und man weiß nie, was als Nächstes kommt. Keine Sicherheit. So viel ist sicher.

*

Ich kann diejenigen durchaus verstehen, die keinen großen Gefallen an dem Buch finden. Die meinen, es sei übertrieben, und dieses Leben sei nicht das Richtige. Ich kann verstehen, wenn Menschen die Sicherheit vorziehen. Wenn sie sich lieber in die Gesellschaft integrieren und ihre Meinung zurückhalten. Oder nein, das kann ich nicht verstehen, aber ich weiß, dass die meisten Menschen dieses Leben vorziehen. Und ich respektiere es. Ich jedoch finde mich auf der anderen Seite wieder. Ständig auf der Suche nach dem „ES“, nach etwas, das „mehr“ ist, das mir zeigt, dass das nicht alles gewesen sein kann. Und ständig die Enttäuschungen. Aber auch die Hochgefühle, wenn man ein paar Liedzeilen hört und einfach loslegen muss, wenn man etwas liest, und gar nicht darüber hinwegkommen kann, gefolgt vom Tiefpunkt, an dem einen alle anblicken mit tiefem Stupor und einem ein „ach, schön für dich“ hinhauchen. Und dann dieser innere Furor, der mich seit einer Woche beherrscht, in der ich Jack und Neal kennengelernt habe und für kurze Zeit mit ihnen zusammensein dürfte. Ich dürfte mit ihnen reisen, an ihren Gedanken, an ihren Ausuferungen teilhaben, fliegen und stürzen, die wunderschöne und die abgrundtief hässliche Welt sehen. Kurz, dieses Buch kam zur rechten Zeit, und ich bin so begeistert, wie man von einem Buch zur rechten Zeit nur sein kann. Ich wünschte, ich hätte einen Neal in meinem Leben, einen derart begeisterungsfähigen Menschen, und ich wünschte, ich könnte so durch die Welt reisen, ohne Angst. Aber das ist heutzutage als Frau alleine wohl immer noch nicht drin. Und so kann ich Euch nur erzählen, wie die Lektüre für mich war, dieses Buch, das scheint, als fange jemand an zu erzählen und rede zwei Tage und drei Nächte, und ich sitze mit ihm an der Bar, trinke ein Bier, rauche eine Zigarette und lasse mich von seiner Begeisterung einhüllen. Die Welt braucht ein wenig mehr Begeisterung. Und Empörung. Und weniger Gleichmut. Und nun, da meine Reise mit Jack und Neal zu Ende ist, kann ich wieder fallen. Und werde hoffentlich eine neue Begeisterung finden.

Jack Kerouac: On the road. Die Urfassung. Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach. Rowohlt Taschenbuch Verlag, 2011. OA: On the Road: The Original Scroll. Viking Penguin, New York, 2007.

Weiteres zur Beatgeneration gibt es hier.

Die Beat Generation und die Cut-Up-Technik

Wir befinden uns im piefigen Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Vorgärten sind adrett, die Hausfrau empfängt den Gatten in gestärkter Schürze mit einem selbstgemachten Abendessen, die Herren treffen sich auf einen Cognac und eine Zigarre, Homosexualität existiert nicht, die Kinder gehen den Weg, den ihre Eltern für sie vorbestimmt haben… nun ja, oder so ähnlich. Allein beim Gedanken daran schnürt es mir die Kehle zu. Und offensichtlich nicht nur mir.

Denn in dieser Zeit entstand eine neue Generation Schriftsteller, die rebellierten (ja, wer liebt denn Rebellen nicht?!). Diese Generation nannte sich die Beat Generation, wobei to beat hier soviel bedeutet wie besiegt, müde, heruntergekommen. Sie nannten sich selbst so, um sich als Erben der „lost generation“, der Zwischenweltkriegsgeneration, zu denen zum Beispiel Francis Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway gehörten, zu etablieren.

Diese Gruppe junger Herren (und einiger nicht so bekannter Damen – Amerika, 50er Jahre) lebte unkonventionell. Sie waren spontan, taten das, was ihnen in den Sinn kam, experimentierten mit Drogen und Beziehungsmodellen und lebten teilweise auch offen homosexuell.  Ihr Mittelpunkt war in New York.

Die bekanntesten Schriftsteller sind Jack Kerouac mit seinem Roman „Unterwegs“ (On the road), William S. Burroughs mit „Naked Lunch“ und Allen Ginsberg mit dem langen Gedicht „Howl“.  Die beiden letzten Werke waren Inhalt mehrerer Gerichtsprozesse wegen angeblicher Obszönität; als sie freigesprochen wurden, hatte das zur Folge, dass Publikationen im prüden Amerika einfacher wurden. (Naked Lunch sollte drei Jahre auf die Veröffentlichung warten).

Einflüsse waren der Kalte Krieg, der letzte Krieg mit seinen verheerenden Folgen (Atombomben), aber auch der Jazz, der zu neuen Schreibrhythmen führte. Neal Cassady, Kerouacs Held aus „On the road“, war Vorbild für Viele, sein Unterwegssein als Lebenserfahrung. Auch wurden Tabus gebrochen, zum Beispiel wurde freie Liebe praktiziert.

William S. Burroughs führte auch eine neue Technik weiter, die Cut-up-Technik. „Cut“ steht hier für Schnipsel oder Notizzettel. Hier wurden Manuskriptseiten in kleine Teile geschnitten und beliebig neu angeordnet. So kann man an jeder Stelle des Buches in den Text einsteigen, und jeder Leser interpretiert ihn anders. Dies ist sehr irritierend, entwickelt aber nach einiger Zeit eine gewisse Sogwirkung.

Nachdem ich angefangen hatte, „Naked Lunch“ zu lesen, war ich zuerst einmal sehr irritiert, weswegen ich mich näher informiert habe. Und obwohl es ein unglaublich ekelhaftes Buch ist, das aber auch in heutigen Zeiten, in denen wir mit Pornographie und Bluttaten im Fernsehen überschwemmt werden, nichts an Aktualität verloren hat, obwohl es irritiert, liest man weiter. Und ja, auch wenn einem schlecht dabei wird, weglegen kann man es doch nicht endgültig (manchmal schon, zwischendurch muss man es). Darauf werde ich aber in der Besprechung näher eingehen.

(Ich habe mich hier haupsächlich auf Wikipedia gestützt, und auf meine Lektüre von „Naked Lunch“.)

Hier findet Ihr die Rezension zu Naked Lunch.

Zu Jack Kerouacs On the Road geht es hier lang.