Ranglistenupdate 12

Dieses Jahr war kein gutes Jahr für die Liste – ich habe hauptsächlich unabhängig davon gelesen. Daran nicht unschuldig war wohl die Frankfurter Buchmesse mit ihren Partnerländern, die Niederlande und Flandern. Aber ich habe kurz vor knapp doch wenigstens genug Bücher für ein Ranglistenupdate zusammenbekommen.

Wie immer: Es handelt sich um eine absolut subjektive Einschätzung der von mir gelesenen Bücher. Die komplette Rangliste findet Ihr am oberen Seitenrand oder hier.

Diesmal mit dabei:

 

Emily Brontë: Sturmhöhe. Neu auf Platz 14.

Ein wilder, mitreißender Klassiker, ideal für die dunklen Monate, für sturmumtoste Nächte und auch an allen anderen Tagen.

 

 

Truman Capote – Kaltblütig. Neu auf Platz 23.

Ein „Tatsachenroman“, der Bericht von einem wahren Verbrechen und allem, was danach geschah. Spannend, lesenswert.

 

 

julys leute

Nadine Gordimer – July’s Leute. Neu auf Platz 32.

Eine bemerkenswerte Was-wäre-wenn-Geschichte, was wäre, wenn in Südafrika eine Revolution stattgefunden hätte, und die Herren zu Abhängigen würden?

 

 

glasglocke

Sylvia Plath – Die Glasglocke. Neu auf Platz 6.

Die Geschichte einer jungen Frau, die fast an der Welt zerbricht. Eindringlich, zudringlich, intensiv. Unbedingt lesenswert.

 

 

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Charlotte Bronte – Jane Eyre. Neu auf Platz 10.

Eine Emanzipationsgeschichte, 170 Jahre alt, und leider immer noch nicht altbacken. Der Weg einer jungen Frau, die unerschrocken in die Welt blickt und damit Vorbild für viele Frauen war und noch immer sein dürfte.

 

 

 

Buch #65: Charlotte Brontë – Jane Eyre

Meine lieben Leser,

ich verbrachte die letzten Wochen damit, der Geschichte eines jungen Mädchens bzw. einer jungen Frau zu folgen. Es handelt sich um die Autobiographie einer gewissen Jane Eyre, in der sie von ihrer Kindheit, Jugend und Zeit als junge Frau erzählt. Sie lebte in England, im 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der Waisenkinder nicht viel Hoffnung auf eine gute Zukunft haben konnten, und in der die Konventionen so viel bedeuteten.jane-eyre

Ein Waisenkind, ja, Jane Eyre ist ein Waisenkind. Nach dem Tod ihrer Eltern wurde sie ins Haus ihres Onkels geholt, der ihr sehr zugetan war. Aber nach dessen Tod wandte sich ihr Leben in eine üble Richtung. Sie wurde nur als lästiges Übel betrachtet, ihr Cousin und ihre Cousinen, ebenso wie ihre Tante, machten sie für alles verantwortlich, und der einzige Trost waren ihr die Bücher.

Eines Tages eskaliert die Situation, und Jane wird fortgeschickt, auf ein Internat, auf dem sie letztlich zur Gouvernante ausgebildet werden soll. Voller Hoffnung macht Jane sich auf den Weg, schlimmer als bei der Tante kann es ja wohl nicht werden… aber weh, das Internat ist ein kaltes Haus, geleitet von einem religiös obsessiven Mann, der nichts von warmer Kleidung und genug Nahrung hält.

Aber Jane gewinnt Freunde, und ihr Schicksal wendet sich ein wenig. Als sie alt genug ist, nimmt sie eine Stelle an: Sie wird Gouvernante im Hause von Mister Rochester, einem Adligen, dem das Leben bisher auch nicht die Sonnenseiten gezeigt hat. Sie verlieben sich ineinander… doch diese Liebe steht unter keinem guten Stern. Es wird noch ein weiter Weg sein für Jane, und ob er sie jemals zu ihrem geliebten Mister Rochester führen wird, das sollte der Leser selbst herausfinden, und mit ihr gemeinsam die vielen Hindernisse angehen.

 

Als ich nach meiner Lektüre von Sturmhöhe die Diskussion verfolgte, die sich darum entspann, ob man lieber eben Sturmhöhe oder Jane Eyre mag, war ich schon sehr gespannt auf diese Lektüre. Und ich muss sagen, dass ich nicht enttäuscht wurde, auch wenn Jane Eyre doch um einiges umfangreicher ist.

Charlotte Brontë erzählt die Geschichte Janes aus deren Sicht, in Form einer Autobiographie. Sie reicht von Janes Kindheit bis zu ungefähr ihrem dreißigsten Lebensjahr, und erzählt ausführlich, was ihr alles widerfahren ist. Erwartet man aufgrund der Zeit, zu der der Roman verfasst wurde und in der er spielt, eine unbedarfte, naive, hilfsbedürftige, junge Frau in Jane Eyre, wird man schnell eines besseren belehrt. Keineswegs entspricht sie diesem Bild – sie geht erhobenen Hauptes durchs Leben und kämpft für ihr Recht. Und hat ihre ganz eigenen Gedanken und eine starke Meinung – Dinge, die von einer jungen Frau ihrer Zeit eher nicht erwartet wurden.

Sie setzt sich auch mit vielen Dingen auseinander, wichtig sind hier z.B. Klasse und soziale Stellung, exemplarisch an Jane, die der Unterschicht angehört, und Mister Rochester, einem Adligen. Wichtig ist auch die Religion, der Jane an mehreren Stellen begegnet und die sie immer wieder versucht, für sich zu vereinnahmen – auch hier kein einfacher Kampf für Jane. Aber am Wichtigsten ist doch die Selbstbestimmtheit, über die sie verfügt. Sie ist ein durchaus realistischer Mensch, nicht schön, nicht reizend und attraktiv, sondern dünn, unscheinbar, mit streng gescheiteltem Haar und anspruchslosen, aber ordentlichen Kleidern. Ihr Reiz beginnt, sobald sie den Mund aufmacht – Jane weiß, was sie kann, und ist oft ehrlich bis an die Schmerzgrenze, jedoch bringt ihr das den Respekt, den sie braucht, und ein Ansehen, das ihr Mut macht.

Ich kann mir vorstellen, dass das Buch bei Erscheinen ein kleiner Skandal war, das Porträt einer so selbstbewussten jungen Frau konnte nicht nach jedermanns Geschmack sein. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass Jane Eyre nun schon für viele Generationen von Frauen ein Vorbild war, dafür, was möglich ist, wenn man die Hoffnung nicht aufgibt und selbstbewusst ist.

In diesem Sinne stimme ich den meisten der Diskutanten darin zu, dass ich Jane Eyre der Sturmhöhe vorziehe, und rate denjenigen, die wie ich nicht vorher das Vergnügen hatten, unbedingt der Lektüre zu.

Charlotte Brontë: Jane Eyre. Aus dem Englischen neu übersetzt von Gottfried Röckelein. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1998. OA: Jane Eyre. An Autobiography. London 1847.654 Seiten.

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Bild: en.wikipedia.org

Charlotte Brontë wurde am 21. April 1816 in Thornton, Yorkshire, geboren. Sie begann schon im Kindesalter zu schreiben, ebenso wie ihre Geschwister Patrick, Emily Jane und Anne. Charlotte veröffentlichte hauptsächlich unter männlichen Pseudonymen, so erschien Jane Eyre unter dem Namen Currer Bell. Sie war selbst Lehrerin und Gouvernante, wollte eine Schule leiten, was mangels Schülern nicht umgesetzt wurde.1847 gelang ihr der literarische Durchbruch mit Jane Eyre. Nachdem sie zugab, den Roman verfasst zu haben, wurde sie in die literarischen Kreise in London eingeführt. 1854 heiratete sie Arthur Bell Nichols. Am Karsamstag, dem 31. März 1855, starb sie, vermutlich an Schwindsucht, in Haworth, Yorkshire. Ihr Fragment gebliebener Roman Emma erschien postum

Textschnipsel zum Montag – 5.12.2016

„Ich weiß, die Poesie ist nicht tot und der dichterische Genius nicht verschwunden; auch hat der schnöde Mammon keine Macht über sie gewonnen, um sie zu knebeln oder zu erschlagen. Beide werden sie eines Tages ihre Existenz, ihre Ausstrahlung, ihre Freiheit und Stärke wieder behaupten. Machtvolle Engel, die im Himmel in Sicherheit sind! Sie lächeln bloß, wenn die niederen Geister triumphieren und die verzagten über ihren Tod jammern. Die Poesie tot? Der Genius verbannt? Nein! Mittelmaß als Ausweg? Nein! Laßt euch nicht durch üble Nachrede zu solchen Gedanken verleiten! Nein, sie leben nicht nur, sondern regieren weiterhin und retten uns auch, und ohne ihren allerorten wirkenden göttlichen Einfluß wärt ihr in der Hölle eurer eigenen Armseligkeit und Niedertracht!“

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Foto: Alex Liivet

Zitat aus: Charlotte Brontë: Jane Eyre. Aus dem Englischen neu übersetzt von Gottfried Röckelein. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1998. S.534 f.

Textschnipsel zum Montag – 7.11.2016

Meine Lieben,

ich bringe – zumindest für die nächste Zeit – die Textschnipsel zurück. Ich habe im Moment eine kleine Leseflaute, und jeden Montag einen Textschnipsel haben zu müssen, hilft vielleicht.

Ich hoffe, sie gefallen Euch, meine Schnipsel. Los geht es heute mit Jane Eyre.

*  *  *  *  *  *  *  *

„Welch ein Lächeln! Ich erinnere mich noch heute daran und weiß jetzt, daß es die Ausstrahlung eines edlen Geistes, von echter Courage war; es erhellte ihre markanten Züge, ihr schmales Gesicht, ihre tiefliegenden, grauen Augen wie der Widerschein vom Anblick eines Engels. Und doch trug Helen Burns in jenem Augenblick gerade das »Schlampigkeitsabzeichen« am Arm; eine knappe Stunde zuvor hatte ich gehört, wie sie von Miss Scatcherd für den nachfolgenden Tag zu Wasser und Brot verurteilt worden war, weil sie beim Abschreiben einer Übung mit der Tinte gepatzt hatte. So ist die unvollkommene Natur des Menschen! So gibt es auch auf der Scheibe des hellsten Planeten Flecken, und Augen wie die einer Miss Scatcherd können einzig und allein dergleichen geringfügige Unvollkommenheiten wahrnehmen und sind blind für die funkelnde Pracht des Gestirns als Ganzem.“

Zitat aus: Charlotte Brontë: Jane Eyre. Aus dem Englischen neu übersetzt von Gottfried Röckelein. Deutscher Taschenbuchverlag, München 1998.  S. 94.

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Duckpool Beach, Cornwall